Rezensionen

Acqua alta

Autor: Isabelle Autissier

Erschienen 2024 bei mareverlag
ISBN 978-3-86648-708-6
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Der Untergang Venedigs - 5 Sterne

ch war schon sehr oft in Venedig. Unvergesslich wird bleiben, als ich zwei Tage nach dem ersten Lockdown dort hinfuhr und genau wusste, so werde ich Venedig nie mehr erleben. Es war beeindruckend: kaum eine Menschenseele war anzutreffen, nur Einheimische – das hatte Flair und Stimmung.

Isabelle Autissier konnte mich schon vor ein paar Jahren mit ihrem Roman „Herz auf Eis“ begeistern. Auch Aqua alta ist kurzweilig und interessant zu lesen – ganz an „Herz auf Eis“ kommt es jedoch nicht heran.

Der Roman beginnt damit, dass Guido Malegatti in einem Krankenhaus erwacht und sich erinnert, dass die befürchtete Katastrophe eingetroffen ist: Venedig ist von einer gewaltigen Flutwelle erfasst worden und liegt in Trümmern. Auch der Sperrwall M.O.S.E., der dem italienischen Staat Milliarden gekostet hatte, konnte Venedig nicht schützen.

Mit einem Boot fährt Guido Malegatti durch das zerstörte Venedig, auf der Suche nach seiner Tochter Lea.

Die drei Mitglieder der Familie Malegatti stehen für unterschiedliche Sichtweisen auf Venedig:
Guido Malegatti, aufstrebender und ehrgeiziger Stadtpolitiker, ist zuständig für Wirtschaftsangelegenheiten, will eine Stadtentwicklung in Richtung mehr Tourismus, noch mehr Hotels, noch mehr Kreuzfahrtschiffe.

Seine Frau Maria Alba stammt aus dem alten Adel Venedigs, deren Familie drei Dogen hervorbrachte. Sie steht im Roman für die prachtvolle historische Geschichte Venedigs. Sie zeigt ihrer Tochter Lea die Schönheit der Stadt bei gemeinsamen Spaziergängen.

Seine Tochter Lea ist eine militante Umweltaktivistin und protestiert gegen Massentourismus, Kreuzfahrtschiffe und auch gegen den Vater, um ihr Venedig zu retten.

Der Roman ist sehr realistisch geschrieben und führt die Problematik Venedigs mit seinem Massentourismus deutlich vor Augen. Er schafft so ein Bewusstsein für eine mögliche Zukunft. Das Konzept der drei Sichtweisen auf Venedig finde ich besonders gelungen. Alles in allem ein sehr lesenswerter und wichtiger Roman!
von niki - 2024-03-24 22:32:00

Der Untergang Venedigs - 4 Sterne

Guido Malegatti hat das Hochwasser überlebt, dass Venedig zum Einsturz brachte. Aber schlauer hat ihn das nicht gemacht, denn er denkt sofort nach seiner Trauerrunde darüber nach, wie sich aus den Ruinen Profit ziehen lassen könnte.

Seine Frau Maria Alba, Sprössling einer großen Familie und Nachfahrin von Dogen hat es nicht so gut getroffen. Über ihr ist das Haus eingestürzt . Sie war ein echtes Kind der Serenissima, der Stadt mit ihrer erhabenen Geschichte und divenhaften Schönheit verfallen. Sie hätte den Verlust ihrer Heimat sowieso nicht verkraftet.

Und deren Tochter Léa ist vermisst.

Zwei Jahre zuvor beginnen die Probleme Venedigs bereits die Familie zu spalten. Guido, der Wirtschaftsstadtrat, ist ein Emporkömmling und ausnahmslos an Wohlstand und Profit interessiert. Er hat schnell gelernt zu intrigieren, wenn es um die Erreichung seiner Ziele geht. Nur seine Tochter weiß er nicht zu bändigen. Als Umweltschützerin sind ihr die Folgen von Klimawandel und Massentourismus für Venedig bekannt und sie kämpft dagegen. Wenn es sein muss auch mit harten Bandagen.

Isabelle Autissier hat mit der Familie Malegatti ein Abbild der Gesellschaft Venedigs geschaffen. Maria Alba steht für Geschichte und Erhalt, Guido für die wirtschaftlichen Interessen und Léa für die Umwelt. So beginnt der Konflikt in der Familie und wird erst in die Welt getragen, als Léa ihren Vaterfeind und ihre untätige Mutter verlässt.

Dass die Ozeanriesen die Grundfesten Venedigs angreifen, ist mittlerweile wohl allen bekannt. Doch dass auch das Sperrwerk M.O.S.E. für die Lagune nicht unproblematisch ist, habe ich durch diesen Roman gelernt. Venedig ist ein fragiles Konstrukt und ich fand es spannend zu erfahren, wie Léa das Ausmaß der Bedrohung klar wird und sie beginnt ihr Leben der Stadt zu verschreiben. Ihre Ideen und Aktionen werden immer wagemutiger und mit Unbehagen folgen wir ihr in die Radikalisierung.

Ich habe diesen Roman mit großem Interesse gelesen und bin begeistert, wie spannend der Konflikt um Venedig oder Veniceland, wie es hier augenzwinkernd auch heißt, aufbereitet wird. Die Zerrissenheit zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Massentourismus und dem Erhalt der Schönheit und Erhabenheit der Serenissima lässt mich wieder einmal aufhorchen und stimmt mich traurig, ob der Untätigkeit unserer Machthaber.

Acqua Alta ist ein Roman, der Aufmerksam macht, berührt und den Finger in eine bekannte Wunde legt!
von Miro - 2024-03-04 21:41:00