Rezensionen

Die Formel der Hoffnung
Ein spannender Roman nach der wahren Geschichte einer herausragenden Ärztin

Autor: Lynn Cullen

Erschienen 2023 bei FISCHER
ISBN 978-3-949465-13-0
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Absolute Leseempfehlung! - 5 Sterne

Lynn Cullen hat es geschafft, mich von der ersten bis zur letzten Seite in die Welt von Dr. D. M. Horstmann hineinzuziehen. Sie schildert den Weg einer großartigen Medizinerin und Forscherin, die den Kampf gegen das Poliovirus aufnimmt und sich nicht stoppen lässt von gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen, Sozialisation, Erwartungen und Zuschreibungen. Absolute Leseempfehlung!
von Andrea Logar - 2023-12-27 10:13:00

„Eine bemerkenswerte Frau. Recht gescheit.“ (S. 103) - 3 Sterne

Mit dieser wohlwollend-herablassenden Beurteilung weist ein in der Polio-Forschung tätiger Virologe im Roman einer promovierten Mathematikerin ihren Platz in der Hierarchie zu: Sie hat – als Sekretärin – zu (be-)dienen. Und so lassen sich auch Karrieren be- und verhindern: Die Ärztin Dorothy M. Horstmann hat Dienst am Krankenbett zu leisten, sie hat die eigene Institution bei Kongressen zu vertreten, und sie hat ihre Forschungsergebnisse wieder und wieder zu überprüfen, damit nur ja kein – weiblicher! – Fehler publiziert wird. Dabei lautet eine Grundregel des modernen Wissenschaftsbetriebs: Publish or perish, publiziere oder geh unter – die Heldin des Romans wird mithilfe der genannten Anforderungen an der Publikation wesentlicher Forschungsergebnisse gehindert. Diese Mechanismen, die bis heute mit freundlichem Lächeln angewandt werden, führt der Text eindrücklich vor – keine ganz neue Einsicht, aber in dieser Anschaulichkeit doch ein positiver Schritt feministischer Erkenntnis.
Allerdings schleicht sich im Zuge der Lektüre langsam ein anderer Verdacht ein: Warum nimmt uns das Erzählen nie mit an den Ort der Arbeit, d. h. der Forschung einer Frau, die dieser Tätigkeit offenbar die höchste Priorität in ihrem Leben einräumt? Wir erfahren, dass sie die Liebe ihres Lebens zuerst vorläufig und dann endgültig zugunsten ihrer Forschung aufgibt, aber wir sehen sie nicht an ihrem Arbeitsort, im Forschungslabor. Ein kurzer Blick durch das Mikroskop auf die kleinen, gefräßigen Viren ist alles, was der Text an Wissenschaftsgeschichte abbildet – aber: Mit welcher Auflösung arbeiteten Mikroskope in den 1940-50er Jahren? Wie sah der Umgang mit Petri-Schalen in dieser Zeit aus? Gab es zur Gewinnung von Tot-Impfstoff nur das geschilderte Verfahren der Zerkleinerung und vielfachen Verdünnung von infiziertem Gewebe? etc.
Frauen gelten, Jahrhunderte alten religiös-gesellschaftlichen Stereotypen zufolge, als emotionale Wesen, gegenüber der rational bestimmten Männlichkeit. Und genau diesen stereotypen Gegensatz reproduziert der Roman, indem er der Heldin zunächst die Liebe, dann aber v. a. die Sorge-Arbeit am Krankenbett zuweist; die erfolgreiche Forschung bleibt den männlichen Kollegen vorbehalten. Ich hätte Dr. Dorothy M. Horstmann gern als Leiterin einer Reise in die Medizingeschichte gesehen, aber diese Ehre gesteht ihr ein nur vordergründig feministischer Roman noch immer nicht zu – entsprechend den wenigen Quellen, die sich im Internet zu der historischen Persönlichkeit finden lassen. Ein historisch orientierter Feminismus hat es auch mit einer erschwerten Forschungslage zu tun, und dafür ist der Roman (k-)ein gutes Beispiel.
von HEYN Leserunde Petra Hesse - 2023-11-28 21:49:00

Eine Frau, die ich gerne kennengelernt hätte - 4 Sterne

„Ich habe einmal eine Frau eingestellt. Vor drei Jahren. […] Sie hat sich in einen Studenten verliebt und meine Abteilung blamiert. Ich bin nicht geneigt, noch einmal das Risiko einzugehen, eine Frau einzustellen. […] Und wenn ein Mann einen ähnlichen Fehler macht? […] Würden Sie nicht davon ausgehen, dass es ein Fehler dieses speziellen Mannes war, und zur Tagesordnung übergehen? Doch wenn eine Frau etwas falsch macht, wird es 50 Jahre lang nicht vergessen. […].“ (S. 67)

M.D. Horstmann, eine Frau, die sich in einer Männerdomäne behaupten musste und trotz der ständigen Unterbewertung unbeirrt ihren Forschungen nachging. Cullens Roman ist nicht nur eine Hommage an Horstmanns außergewöhnliche Leistungen im Kampf gegen Kinderlähmung, sondern auch ein lebendiges Zeitdokument der Herausforderungen, mit denen Frauen in der Wissenschaft konfrontiert waren und leider immer noch sind.

Horstmann ist eine beeindruckende Persönlichkeit. Ihre Zurückhaltung und Bescheidenheit machen sie zu einer umso faszinierenderen Figur. Cullen schildert eindrücklich, wie Horstmann trotz der ständigen Geringschätzung ihrer Arbeit durch männliche Kollegen, die stetige Kämpferin bleibt. Sie zeigt uns eine Frau, die in einer Zeit großer sozialer und geschlechtsspezifischer Ungerechtigkeiten lebte, aber niemals ihre Vision aus den Augen verlor.

Dieses Buch ist nicht nur ein Fenster in die Vergangenheit, sondern auch ein Spiegel unserer Zeit. Es zeigt uns wie weit wir noch gehen müssen, besonders in der Wissenschaftswelt. Es ist auch ein kraftvolles Plädoyer für mehr Gleichberechtigung und Anerkennung der Leistungen von Frauen in allen Bereichen.

Diese Geschichte ist eine sehr besondere. Eine, die wirklich über zwei Jahrzehnte stattfand, die viele Kinder sterben lies! Eine vergessene Person, die maßgeblich an der Forschung beteiligt war, wird vor den Vorhang geholt! Cullens Werk feiert die Errungenschaften einer bemerkenswerten Frau und hinterfragt auch kritisch die gesellschaftlichen Strukturen ihrer Zeit.

Eine Steilvorlage zur COVID-Pandemie – hatten wir doch gerade erst; war vor ca. 80 Jahren nicht anders (was sich die Menschen da so lieferten).
von mari_liest - 2023-11-25 19:41:00

Da wäre mehr gegangen! - 3 Sterne

Ein an sich ausgesprochen interessantes Thema über ein typisches Frauenschicksal in der Wissenschaft. Dorothy Horstmann leistet Bahnbrechendes bei der Erforschung von Polio, die Meriten ernten aber die Männer. Leider lässt Lynn Cullen für mich die Tiefe, ja auch die sprachliche Brillanz vermissen. Wenn schon ein Roman über Frauen in der Wissenschaft, dann das exzellente Buch von Bonnie Garmus „Eine Frage der Chemie“!
von Wolfgang Pfleger - 2023-11-22 21:08:00

Buch als Katapult zu Information - 4 Sterne

Das Thema die Historie der wissenschaftlichen Forschung den Bereich Kinderlähmung bzw. des Weges zur Polioimpfung betreffend fand ich sehr verlockend. Lynn Cullen hat den Zeitpunkt für diesen Roman, wie ich finde, auch sehr geschickt gewählt, da das Interesse zum Thema Forschung und Impfen wohl noch sehr präsent ist. Die Art und Weise der Darstellung des Lebens und Wirkens von Dr. D. Horstmann finde ich gelungen und relativ ansprechend beschrieben, obgleich ich den „Kick“ doch etwas vermisst habe. Den Erzählstil finde ich etwas „clean“, wobei das aber gut zum Thema passt. Was für mich das Allerbeste dieses Romanes ist? Er hat mich in ein „intensives und freudvolles Googeln“ katapultiert: es hat mir viel Freude bereitet, mich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Das bedeutet: ein gut zu lesendes Buch + spannende wissenschaftliche Infos (innerhalb und außerhalb der Buches) = der Kauf des Buches lohnt sich.
von Dagmar Pfleger - 2023-11-22 18:05:00

Wissenschaftsgeschichte - immer noch top aktuell - 4 Sterne

Lynn Cullen beschreibt in ihrem Roman nach wahren Begebenheiten das Leben und Wirken der Ärztin und Wissenschaftlerin Dr. Dorothy Horstmann . Es geht um das Bemühen von Vielen, die schreckliche Kinderkrankheit Polio zu bekämpfen. Vorrechte, Eitelkeiten, Egoismen und das Ringen zwischen Männern und Missachtung gegenüber Frauen bekommen viel Platz. Das Thema ist hoch interessant und passt durchaus immer noch in unsere Zeit. Gerade weil bei der Entwicklung für die Impfung gegen Polio nicht alle Forschungsergebnisse offen und ergänzend behandelt wurden und bei der Produktion finanzielle Aspekte gegenüber der Sicherheit überwogen, kam es zuerst zu Impfschäden. Die Auswirkungen davon spüren wir heute noch in Form von Impfskepsis und Vorbehalten gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen - nicht nur zu Coronazeiten.

Ich habe das Buch gerne gelesen, auch wenn es der Autorin nicht gelungen ist, mich tatsächlich zu berühren. Die Sprache und Erzählweise haben mich immer ein Stück auf Distanz gehalten. Schade, denn der Inhalt hätte viel mehr Potenzial - und trotzdem: unbedingt lesenswert!

von HEYN Leserunde Barbara Maria Angerer - 2023-11-22 18:00:00

Ein Leben für die Wissenschaft - 4 Sterne

Ein fast authentischer Roman über eine Wissenschaftlerin und ihren Kampf gegen Polio.
Ich konnte mich gut in diese Frau hineinversetzen, hin- und hergerissen zwischen Ehrgeiz, Vernunft, Ungerechtigkeit gegenüber Frauen und der Suche nach ihrer weiblichen Rolle.
Klare Leseempfehlung!
von HEYN Leserunde Nicola Strahl - 2023-11-22 11:05:00

Kampf gegen Polio und mehr - 5 Sterne

Auf einer Erzählebene schildert Lynn Cullen die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte der Erforschung und Entwicklung der Impfung zum Schutz vor Polio, an der Dr. Dorothy Horstmann federführend beteiligt war. Diese Ebene des Romanes beinhaltet die verschiedenen Ansätze zur Entwicklung des Impfstoffes, das wissenschaftliche Wettrennen zu diesem Thema, streift mit viel Empathie kurz Tierversuche hierüber, schildert das für viele Menschen letale Ergebnis der ersten Versuchsreihe an ihnen, weil der Impfstoff kostengünstig und nicht mit höchster Qualität hergestellt wurde und erwähnt am Ende fast nebenbei, dass der Impfstoff in der uns derzeit bekannten Form trotz des damals „kalten Krieges“ zuerst an gut 70 Millionen Einwohnern der (damaligen) Sowjetunion verteilt und erst dann, nach Vorliegen der positiven Ergebnisse, begonnen wurde, diesen im „Westen“ großflächig zu verabreichen.

Diese Ebene ist durchaus spannend und informativ geschrieben, ich hätte mir aber etwas mehr (populär)wissenschaftlich aufbereitete Sachinhalte gewünscht.

Auf einer zweiten Ebene schildert dieses Buch sehr beeindruckend und berührend die (nur damalige?) Dominanz von Männern auch im Wissenschaftsbereich und die Reduktion der Bedeutung von Frauen auf Haushaltsführung und Kinderkriegen, auch wenn sie wissenschaftlich ihren Kollegen ebenbürtig oder überlegen sind. In diesem Kontext schildert Lynn Cullen auch die unterschiedlichen Antriebe der Forschenden zum Verständnis der Virusinfektion und der Entwicklung eines Impfstoffes; bei den Männern steht wohl das Konkurrenzdenken im Vordergrund, wer den Impfstoff schneller entwickelt und den Nobelpreis erhält, bei den Frauen steht eher das kooperative Engagement (auch über alle beruflichen Ebenen hinweg) im Vordergrund, einen Impfstoff zu entwickeln, mit dem Polio erfolgreich beseitigt werden kann. Zur Aktualität dieses Themenkomplexes der "Männerdominanz" auch nach Jahrzehnten der Emanzipation genügt ein kurzer Blick auf die auch bei uns immer noch präsente Gewalt gegen Frauen, vorwiegend durch Männer ohne Migrationshintergrund, auf die Unterdrückung von Frauen in anderen Kulturkreisen auch in unserer nächsten Umgebung, auf das Verhalten narzisstischer Männer in der großen Weltpolitik und deren Auswirkungen für uns alle, aber auch auf die abwertende Wortwahl von lokalen Politikern, die öffentlich ankündigen, ein weibliches Regierungsmitglied wegen Unzufriedenheit mit ihrer Regierungstätigkeit im lokalen Parlament „herprügeln“ zu werden.

Auf einer dritten Ebene blendet die Autorin immer wieder die Beziehung zwischen Dr. Horstmann und ihrem früh an Gehirnhautentzündung erkrankten und deshalb geistig zurückgefallenen Vater ein, der ihr offenbar mit seiner „kindlichen“ und unverfälschten Empathie Kraft gibt, bis zu seinem Lebensende. Damit wirft Lynn Cullen auch die Frage auf, was im Leben alles zählt und Kraft gibt, neben Ruhm und Erfolg.

Aus dieser Vielfalt heraus haben sich für mich viele Passagen ergeben, die mich zum Innehalten, Nachdenken und Nachspüren gebracht und damit bereichert haben.

Unbedingt empfehlenswert


von Manfred Angerer - 2023-11-22 11:04:00

Faszinierend, erstklassig, spannend, rührend - 5 Sterne

1940, USA, zweiter Weltkrieg und dreißigjähriger Kampf gegen das Ungeheuer Polio, ein echtes Miststück von einem Virus. Mittendrin unsere Protagonistin, klinische Epidemiologin Dr. Dorothy Horstmann, in einer Gesellschaft, die sich nicht vorstellen kann, dass eine Frau ihre Arbeit leidenschaftlich liebt, nicht den Mann.
Empathisch geschriebener Roman mit genauestens recherchierten Fakten der Forschung verknüpft mit einem fiktiven Leben von Frau Dr. Horstmann.

Das Buch ist ein Dank an sie und andere Frauen für die Hilfe, die Kinder zu schützen.

Klare Leseempfehlung!!!

von HEYN Leserunde Ewa Wiercinska - 2023-11-22 09:52:00

Sei keine Frau in der Wissenschaft - 3 Sterne

Das Buch „Die Formel der Hoffnung“ von Lynn Cullen erinnert sehr an den Roman „Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus. In beiden Büchern wird die Stellung von Forscherinnen im Wissenschaftsbetrieb des vorigen Jahrhunderts aufgezeigt und kritisch beleuchtet. Das weibliche Geschlecht war für leitende Positionen tatsächlich hinderlich. Im Buch wird der Wettlauf bei der Entdeckung des Polio- Impfstoffs als Meilenstein der Kindergesundheit eindrücklich, wenn auch nicht immer besonders spannend dargestellt.
von HeynLeserunde Marianne Schaffer-Schellander - 2023-11-21 18:57:00