Rezensionen

Autor: Bora Chung

Erschienen 2023 bei CulturBooks Verlag

ISBN 978-3-95988-190-6

Bora Chungs Erzählband „Der Fluch des Hasen“ versammelt Geschichten, die aus dem Leben gegriffen sind und dennoch nicht alltäglich anmuten. Die koreanische Autorin selbst meint dazu: „Wir tun immer so, als wäre alles vollkommen normal. Aber das Leben ist nicht normal.“ So lässt uns eine jede der zehn Kurzgeschichten in eine phantastische Welt eintauchen, wo sich Realität und Fiktion begegnen – daraus entstehen fesselnde moderne Märchen, die unheimlich, mysteriös und zugleich klug und hoch intellektuell sind, gerade weil sie keinem literarischen Genre zugerechnet werden können. Es sind Fabeln, die als Metapher für „normale“ Dinge stehen, die uns Schrecken einjagen, wobei wir uns vielleicht an manch grausame Figur aus den Grimm´schen Märchen erinnern. Das Ende jedoch ist nicht tröstlich, sondern auf eine Weise verstörend, die nachdenklich stimmt. Heißt es doch für gewöhnlich: „…Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute“; – was aber geschieht, wenn die Märchenfiguren „noch heute“ weiterexistieren? Bora Chung öffnet mit der titelgebenden Erzählung „Der Fluch des Hasen“ eine Tür, die dies erahnen lässt ... Der magische Realismus des Bändchens zieht uns sofort in den Bann, da jede Vorstellungskraft gesprengt wird. So entsteht zugleich eine beißende Parabel unserer Gesellschaft, wo die Schrecken und die Grausamkeit zum Alltag zählen und wir gelernt haben, damit zu leben, fast ohne Hoffnung und ohne jeglichen Widerstand gegenüber den Dingen, die wir ohnehin glauben, nicht ändern zu können: „C´est la vie!“. Aber dass gerade die Erzählung des „Fluchs“ ein Segen sein kann, wenn wir so Verdrängtes ans Licht legen und als Wahrheit enttarnen, steigert die Chance, den Ängsten und Traumata des modernen Lebens entgegenzutreten und sie nicht einfach fatalistisch hinzunehmen. Wir sind eingeladen, dort hinzusehen, wo wir vielleicht niemals hingeblickt hätten … So ist dieses Bändchen, so skurril es auch scheinen mag, einem „Engel“ gleich: ein willkommenes Geschenk unter dem Weihnachtsbaum, denn:
„Woran sollen wir einen Engel erkennen,
außer dass er Mut macht, wo Ängste waren,
Einspruch erhebt, wo Sachzwang herrschte,
Freude schenkt, wo nicht einmal mehr Trauer wuchs,
Beistand leistet, wo Einsamkeit sich breit machte,
Abrüstung fordert, wo Terror glaubwürdig drohte.
Fürchte dich nicht: Widerstand und Hoffnung wachsen!“ (nach Dorothee Sölle)
Dass Hoffnung und Widerstand wachsen – und welche Zeit wäre günstiger hierfür als die Weihnachtszeit? –, um eine andere Welt zu gestalten als die, in der wir uns vorfinden, ist die große überraschende Erkenntnis des Erzählbandes. Vielleicht ist das märchenhaft Groteske, imaginäre Absurde und oft auch grausam Monströse in diesen Kurzgeschichten vorerst eine Zumutung, doch wusste schon Ingeborg Bachmann: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar!“ Und dass die Wahrheit Wirklichkeit werden, „Fleisch annehmen“ kann, möchte ja gerade die Weihnachtsbotschaft glaubhaft vermitteln.

von Katja Hölzl - 2023-12-11 13:39:33

Ganz besondere Kurzgeschichtensammlung einer koreanischen Autorin. Die einzelnen Geschichten lassen sich teils als gesellschaftskritische Parabeln, groteske Märchen oder auch einfach nur als literarischer Horror lesen, ebenso grauenvoll wie einfühlsam. Eine abwechslungsreiche Zusammenstellung, ohne dass sich vorab erahnen ließe wohin die vielschichtigen Handlungen ihre LeserInnen führen. Sehr empfehlenswert!

von Christina Welser - 2023-11-27 12:22:02

"Der Fluch des Hasen" ist eine Sammlung wunderbar gruseliger und fantastischer Geschichten, die sich immer auf sehr reale Ängste beziehen. Die Vielfältigkeit der Geschichten ist beeindruckend (Geister, Urtriebe, Flüche, Monster) und erinnert mich sehr an die traditionelle Überlieferung von Märchen: Aktuelle Traumata und Ängste finden ein Ventil in übernatürlichen Geschichten.

Ein schönes und abwechslungsreiches Buch für Leser:Innen, die literarischen Grusel lieben!

von MMag. Katharina Huchler - 2023-10-31 12:32:10