Haderlap, MajaNachtfrauen

Hardcover

Suhrkamp Verlag (2023)

294 Seiten; 215 mm x 135 mm

ISBN 978-3-518-43133-7

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Nachtfrauen

Besprechung
»... ein Roman von hoher zeithistorischer Relevanz und literarischer Qualität.« ORF 20231101

Langtext

Aus dem Leben dreier Generationen von Frauen und ihrem Ringen um Autonomie

Als Mira ins Auto steigt, um sich auf den Weg nach Südkärnten zu machen, weiß sie, dass ihr schwierige Tage bevorstehen: Ihre alte Mutter muss auf den Auszug aus dem Haus vorbereitet werden, in dem sie vor Jahrzehnten als ungelernte Arbeiterin mit den damals noch kleinen Kindern Obdach gefunden hat. Tatsächlich verdichten sich im Lauf der folgenden Wochen die Erinnerungen an eine als traumatisch erlebte Kindheit, die vom frühen Tod des Vaters genauso belastet war wie von der rigiden patriarchalen Ordnung und den Dogmen der katholischen Kirche. Die alten, unaufgelösten Konflikte verschaffen sich neuen Raum, und Mira beginnt zu verstehen, dass sie von den lang beschwiegenen Lebensgeschichten ihrer Ahninnen befeuert werden: Tagelöhnerin die eine, die unter dramatischen Umständen ums Leben kam, Partisanin die andere, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr nach Kärnten zurückkehrte.

In eindringlichen Bildern erzählt Maja Haderlap in ihrem neuen Roman aus dem Leben dreier Generationen von Frauen, von ihren Verstrickungen in aufgezwungene und verinnerlichte Leitbilder und ihrem Ringen um Autonomie. Die Geschichte der Nachtfrauen ist eine der Verluste, des Schweigens und der Schuld, in der trotz allem die Nachsicht und der Respekt füreinander, vielleicht sogar die Liebe, nicht aufgegeben werden.



Maja Haderlap wurde in Bad Eisenkappel / Zelezna Kapla (Kärnten) geboren. Nach einem Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik war sie Lehrbeauftragte an der Universität Klagenfurt und lange Jahre Chefdramaturgin am Stadttheater Klagenfurt. Sie veröffentlichte Lyrik in slowenischer Sprache, ehe sie für einen Auszug aus ihrem Romandebüt Engel des Vergessens 2011 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde. Weitere renommierte Preise folgten, wie der Max Frisch-Preis 2018 oder der Christine Lavant Preis 2021. Nachtfrauen ist ihr erstes Buch im Suhrkamp Verlag.


Rückkehr ins Heimatdorf
Eine berührende Mutter-Tochter Geschichte aber auch Aufarbeitung der Kindheit mit traumatischem Erlebnissen für die Protagonistin. Mira taucht beim Besuch bei ihrer Mutter in Unterkärnten tief in die Vergangenheit ein, sichtet vergessene Unterlagen am Dachboden, erinnert sich an Probleme der Volksgruppe und setzt eine Liebesgeschichte mit einem Jugendfreund fort, die sie damals beendete, weil Jurij sich radikalisierte. Ganz anders als "Engel des Vergessens" doch ebenso fesselnd und literarisch herausragend.

Nachtfrauen
Der neue Roman „Nachtfrauen“, nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2023, stammt von Maja Haderlap, einer Kärntner Slowenin, was umso bedeutender ist, als Slowenien dieses Jahr das Gastland der Frankfurter Buchmesse ist. Ein Grund mehr also, dieses in wunderbar eindringlichen Bildern gezeichnete Buch zur Hand zu nehmen. Es geht darin um drei Generationen von Frauen, die versuchen, sich aus alten Denkmustern und gesellschaftlichen Korsetts zu befreien und ihre Eigenständigkeit wiederzugewinnen. Interessant dabei finde ich, wie klug der Roman mit Klischees spielt und wie er in eine Grenzregion Österreichs situiert wurde, wo die Sprache einerseits die Identität ausdrückt, andererseits aber auch entzweiend wirkt. Im Hintergrund ist der Kampf um Autonomie erkennbar – der Wunsch nach Anerkennung und Emanzipation verlagert sich also von der persönlichen Ebene der „Nachtfrauen“ auch auf die politische Ebene: Der schwierige Umgang der beiden Volksgruppen miteinander wie auch das mitunter lediglich Geduldet-Sein des Slowenischen unter den Deutschsprachigen wird immer wieder zum Thema gemacht.
Kern der Handlung ist der Besuch von Mira, einer inzwischen in Wien lebenden Frau, bei ihrer nunmehr pflegebedürftigen Mutter Anni in Südkärnten. Während der Bruder dafür plädiert, Anni ins Altersheim zu geben, versucht Mira, einen Weg zu finden, um mit den Konflikten umzugehen. Es geht dabei nicht nur um familiäre Auseinandersetzungen, sondern wird verwoben mit Erinnerungen an die Kindheit: Die Vergangenheit wird wieder präsent und eröffnet damit auch neue Perspektiven auf das Leben im Hier und Jetzt, denn die Beschäftigung mit dem einst Erlebten verändert den Blick auf die eigene Mutter und schließlich auf die Großmutter. Mira entdeckt starke, unerschrockene Frauen – „Nachtfrauen“ eben. Anni, die die eigene Mutter Agnes ebenfalls zu zeichnen beginnt, vergleicht sie mit einer „Bergkönigin“: „Wenn ich meine Mutter zeichnen wollte, würde ich sie als dunkle Bergkönigin zeichnen, die im Eis lebt und die Eigenschaft hat, an manchen Tagen als Riesin aufzutreten, an anderen hingegen als durchsichtiges Geschöpf, überlegte Anni."
„Nachtfrauen“ ist ein unbedingt lesenswertes Buch, das reiche Erkenntnisse über die Bedeutung von Sprache und das Politische in der Literatur bietet und gleichzeitig den Kampf um kulturelle Identität in die wunderbare Kulisse des Kärtner Südens verlegt: Dort beginnen die „dunklen Bergköniginnen“ zu leuchten und die Lektüre wird zum Hoffnungsträger für alle „Nachtfrauen“, die im Verborgenen Großes vollbringen!


Ein außergewöhnliches Buch, das mich tief berührt hat
Mira und Anni, Tochter und Mutter aus dem geschichtsträchtigen Süden Kärntens: 2 Frauen ziehen Bilanz an einem Wendepunkt ihres Lebens und bedenken (natürlich) auch ihr oft unbeabsichtigt schwieriges Verhältnis und all das Unaussprechliche. So viel geschieht in unser aller Leben, über Generationen hinaus, was wir schwer beeinflussen können und das über Jahrzehnte umso mehr prägt, wie wir leben und lieben. Ein Buch, das mich tief berührt hat, geschrieben in einer glasklaren, manchmal fast kargen Sprache, mit Sätzen, in denen immer wieder Wörter und Bilder wie Diamanten aufblitzen. Ein außergewöhnliches Buch und natürlich ein MUSS!!
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