Rezensionen

Rezensionen von nicole luka

Autor: Thomas Bernhard

Geniale Adaption - 5 Sterne

Thomas Bernhards autobiografische Schriften habe ich in meinen frühen 20er Jahren gelesen. Diese waren für mich der Grundstein, mich an die weiteren Werke von Thomas Bernhard zu wagen.

Nun hat der Residenz-Verlag die vier Autobiographien in Form von Graphic Novels herausgebracht. Genial wird in den Bänden die Stimmung eingefangen, die Zeichnungen sind so unglaublich passend zum geschriebenen Wort.

Ein Muss für alle Thomas Bernhard und Graphic Novel Fans.
Autor: Mareike Fallwickl

Man stelle sich das Mal bitte in echt vor - 4 Sterne

Man stelle sich vor, all das, was in diesem Roman erzählt wird, passiert wirklich: Frauen legen sich hin und machen weder ihre Care-Arbeit noch die unterbezahlten Jobs vor allem im Dienstleistungssektor. Auf einmal gibt es keine Reinigungskräfte mehr, die im Krankenhaus nach einer OP alles sauber machen, niemand mehr, der sich in der Schule um die Kinder kümmert, und auch die Frauen zu Hause tun einfach nichts mehr: weder kochen, noch einkaufen oder putzen. Na, da wäre was los.

In dem Roman ist jedenfalls ordentlich was los, als die Frauen beginnen, sich auf die Straße zu legen und damit zugleich die Arbeit niederzulegen.

Die Idee an dem Roman hat mir wahnsinnig gut gefallen. Ich habe mir die erzählten Szenarien beim Lesen öfter real vorgestellt. An manchen Stellen schienen mir die Auswirkungen dann doch etwas überzogen – das hätte es im Roman meiner Meinung nach gar nicht gebraucht. Und doch denke und fühle ich: vielleicht braucht es manchmal gerade die Übertreibung, damit klar wird was passiert, wenn Frauen nicht mehr bereit sind, ihre großteils unsichtbare Arbeit so selbstverständlich und ohne entsprechenden Lohn zu verrichten.

Schon alleine wegen dieser Idee und Imagination eine Leseempfehlung. Ein Roman, über den sich herrlich diskutieren lässt.
Autor: R. F. Kuang

Das Lügen war kaum auszuhalten - 5 Sterne

Der Inhalt des Romans ist oftmals beschrieben (siehe sogleich) und damit denke ich, hinlänglich bekannt..

Ich fand die Idee, dass geistiges Eigentum aufgrund des Todes einer erfolgreichen Autorin von einer nicht erfolgreichen Autorin geklaut wird, interessant. Schwer auszuhalten waren die Lügen der „Diebin“ und das Gefühl, dass sie entdeckt wird – dass sie sich nie mehr sicher sein kann, ob nicht doch jemand dahinterkommt. All das hat für mich ein prickelndes, aufgeregtes und doch sehr unangenehmes Gefühl beim Lesen verursacht. Das ständige Gefühl, dass doch entdeckt wird, dass der Erfolg „der Diebin“ nicht zusteht und die Scham und ihr tiefer Fall sehr schlimm wäre, ist für mich schwer verdaulich gewesen – ich konnte mich beim Lesen richtig reinfühlen.

Dann hat mir auch sehr gut gefallen, dass viele Themen in diese Geschichte verwoben wurden, wie Rassismus, Neid, soziale Medien und kulturelle Aneignung.
Autor: Lydia Lewitsch

Großartiges Uni-Setting - 5 Sterne

Die aus Polen stammende Miriam Behrmann, Professorin an der Uni Wien, hat hart dafür gearbeitet, damit sie dort hinkommt, wo sie heute ist – zuerst Princeton und nun Wien. Sie hat richtig Karriere gemacht mit ihrem neuen Institut in Wien.

Ihre Doktorandin Selina Aksoy hat aus Miriams Sicht eine ganz andere Einstellung. Mit den Aufgaben, die Selina von Miriam erhält, fühlt sie sich schnell überfordert und sogar psychisch missbraucht: sie kann nicht zeitgerecht abgeben und liefern – und beißt sich schon gar nicht richtig durch. Miriam möchte Selina fördern, diese fühlt sich jedoch überfordert und kann damit nichts anfangen.

Plötzlich wird Miriam des psychischen Missbrauchs beschuldigt, der ihre Entlassung zur Folge haben soll.

Der Roman setzt dort ein, wo Miriam zu einem Gespräch mit der Universitätsleitung einbestellt wird. In Rückblenden wird Miriams Leben und Karriereweg erzählt. Es geht hier um ihre Kindheit in Polen, der Weg nach Princeton, ihre Ehe mit dem amerikanischen Professor und wie sie ein großartiges Projekt initiierte und sie so den Ruf nach Wien erhielt.

Ich finde, es wird auf eine sehr kluge Weise gezeigt, wie zwei unterschiedliche Generationen mit Arbeit und Leistung umgehen. Beim Lesen hat man das Gefühl, Miriam wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie zu viel verlangt und dafür eventuell auch mit Konsequenzen rechnen muss. Viel eher stellt sich Miriam die Frage, ob Selina eine geeignete Doktorandin ist, wenn sie nicht in hohem Maße leistungsbereit ist.

Ein beeindruckender Roman, der vielschichtig unterschiedliche Sichtweisen aufzeigt und man als Leser*in das Gefühl hat, jede Position hat was für sich – großartig.
Autor: Oliver, Diane; Jakobeit, Brigitte; Oldenburg, Volker; Jones, Tayari

Ein Strauß emotionaler Storys - 5 Sterne

„Nachbarn“ ist eine Story-Sammlung der viel zu früh verstorbenen afroamerikanischen Autorin Diane Oliver aus den 1950er und 60er Jahren. Zu diesem Zeitpunkt nahm in den USA die Bürgerrechtsbewegung richtig Fahrt auf.

Hier geht es ums Alltägliche. Um Rechte, die sich die schwarze Bevölkerung gerade versucht zu erkämpfen – und doch ist der Alltag ganz und gar durchsetzt von Diskriminierung, trotz Aufhebung der Rassentrennung.

Allein die titelgebende Geschichte „Nachbarn“, beeindruckt und fasziniert: ein schwarzes Kind, das als eines der ersten auf eine Schule für Weiße gehen soll. Die Familie wurde deswegen bedroht, musste von der Polizei beschützt werden und am Ende machte die Familie einen Rückzieher – es stand nicht dafür, den kleinen Tommy dieser Situation auszusetzen.

Jede Geschichte hat quasi einen eigenen Schwerpunkt zum Thema Rassismus und hat auch ihren eigenen Sound. Die Erzählungen gehen zum Teil unter die Haut, weil sie richtig emotional, sensibel, intensiv und nachvollziehbar sind. Und sie erstrecken sich bis in die Gegenwart – einen Großteil des beschriebenen Rassismus gibt es – leider! – bis heute.

Eine Wiederentdeckung aus den 1960er Jahren mir einer bis heute anhaltenden Aktualität.
Autor: Roemer, Astrid H.

Ein Roman, wie ein Fiebertraum - 4 Sterne

Aufgrund seiner Gewalttätigkeit möchte Noenka nach nur neun Tagen Ehe die Scheidung von Louis - er lehnt ab. Noenka verlässt ihn trotzdem. Sie geht ihren eigenen Weg, der kein einfacher ist. In Suriname, ein kleiner Staat im Norden Südamerikas, ist familiäre Gewalt Privatsache, keine*r mischt sich ein, aber schon gar nicht verlässt man wegen Gewalt seinen Ehemann.

Auf der Suche nach einer Bleibe lernt sie Ramses kennen, aber diese Beziehung ist für sie nicht ernsthaft. Schon gar nicht will Noenka sich auf ihn einlassen und Kinder haben, schließlich ist sie ja noch verheiratet. Und dann kommt sie bei Gabrielle unter und die Leidenschaft zu dieser Frau fühlt sich richtig an, ist jedoch gegen die gesellschaftlichen Konventionen des religiösen Karibikstaates.

Der Roman ist nicht ganz einfach zu lesen. Ein Großteil des Romans wird mit Personalpronomen geschrieben und man weiß oft nicht wer mit „sie“ und „er“ gemeint ist. Erst viel später erschließt sich oftmals, um wen es sich handelt. Man trifft auf Begebenheiten, die in der Gegenwart beginnen und plötzlich in der Vergangenheit enden. Also alles sehr sprunghaft, manchmal klar, dann wieder verwirrend und es ist während des Lesens nicht immer auszumachen, ob eine erzählte Episode zurückgeblickt oder die aktuelle Geschichte weitererzählt wird. Irgendwo habe ich gelesen, der Roman liest sich wie ein Fiebertraum. Das kann ich bestätigen.

Ich fand das Lesen des Romans recht anstrengend, es hat aber einige interessante Aspekte: wie in dem karibischen Suriname mit Misogynie, Patriachat, Liebe, Rasse, Religion und Familienbeziehungen umgegangen wird.
Autor: Benjamin Koppel

Jüdisches Leben und Traditionen - 3 Sterne

Benjamin Koppel, ein dänischer Komponist und Musiker, erzählt auf Fakten basierend die Lebensgeschichte seiner Großtante Anna Koppel, deren Leben sich fast über das gesamte 20. Jahrhundert erstreckte.

Hannah war die einzige Tochter von Yitzhak Koppelmann und seiner Frau Bruche. Yitzhak und seine Frau flohen aus Polen nach Kopenhagen. Hannahs vier ältere Brüder werden erfolgreiche Musiker. Die Eltern können sich gut den Berufswünschen der Söhne beugen, aber die Tatsache, dass alle vier nichtjüdische Frauen heiraten, trifft besonders die Mutter hart.

Ihre letzte Hoffnung, die jüdische Tradition weiterzuführen und einen jüdischen Mann zu heiraten, setzen die Eltern auf Hannah – sie darf ihre Familie keinesfalls enttäuschen. Hannah liebt jedoch Aksel, einen jungen Kommunisten, der für eine bessere Welt kämpft. Mit ihm kann Hannah über Träume und Wünsche für ihr weiters Leben sprechen, wie etwa, dass sie einmal Pianistin werden möchte und ihn heiraten will.

Im Zweiten Weltkrieg flüchtet die Familie ins schwedische Exil. Hannah muss eine schwerwiegende Entscheidung treffen, die sie für den Rest ihres Lebens stark belasten wird.

Auf Wunsch der Eltern wird eine Ehe mit Francois arrangiert, einem reichen Franzosen jüdischer Herkunft. Nach dem Krieg heiratet Hannah Francois gegen ihren Willen und lebt von nun an in Paris. Francois ist ein despotischer Ehemann und Vater, kann mit Geld nicht umgehen und betrügt seine Frau. Hannah hält jedoch aus Pflichtgefühl an dieser Ehe fest.

Der Autor charakterisiert die jüdische Familie Koppelman mit der richtigen Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit. Eine Vielzahl der Anekdoten liefern ein lebendiges Bild des damaligen jüdischen Lebens. Zwischendurch war mir jedoch die Geschichte zu einfach erzählt, sprachlich hätte ich mir hier viel mehr gewünscht.
Autor: Kingsolver, Barbara; Gunsteren, Dirk van

Keine Seite zu viel - 5 Sterne

Demon wird in prekäre Verhältnisse geboren: die Mutter, fast selbst noch eine Teenagerin und drogenabhängig, bringt ihn in einem Trailer zur Welt. Sein Vater ist bereits verstorben, von ihm geerbt hat Demon seine kupferroten Haare. Als Demon noch ein Kind ist, stirbt auch die Mutter; und ab da beginnt die Odyssee von Pflegefamilie zu Pflegefamilie, die den kleinen Buben ausbeuten und schlecht behandeln, Gewalt ausüben, ihn hungern und schuften lassen. Sein Überlebenswille wird dadurch jedoch nicht gebrochen.

Demon erfährt aber auch dauerhafte Beziehungen zu Menschen, die es wirklich gut mit ihm meinen und ihm eine Stütze sind. So schafft er es in der High-School ein angesehener Footballstar zu werden, bis zu seiner Verletzung. Dieser Teil des Romans hat die Opioid-Krise in Amerika zum zentralen Thema, die viele Menschen in Abhängigkeit, Ruin und Tod getrieben hat.

Der Großteil der Protagnist*innen in dem Roman sind die Hillbillys, die Hinterwäldler aus den ländlichen Gegenden Amerikas. Der Autorin ist es unglaublich gut gelungen, dieses Milieu darzustellen.

Alles in allem eine herzzerreißende, sozialkritische Erzählung, die wohl auf eine breite Schicht der amerikanischen Bevölkerung zutrifft. Die über 800 Seiten des Romans sind getragen von schwierigen Lebenssituationen und doch immer wieder hoffnungsvollen Lichtblicken und – vor allem – einer Prise Humor. Die Adaption des David Copperfield Romans von Charles Dickens in die Gegenwart ist unglaublich gut gelungen.
Autor: Auster, Paul

Ein Könner seines Handwerks - 4 Sterne

Seymour T. Baumgartner, die alternde Hauptfigur, emeritierter Philosophieprofessor und Schriftsteller, hat vor zehn Jahren bei einem Badeunfall seine Frau Anna unerwartet verloren – dreißig Jahren waren die beiden verheiratet. Sie war die Liebe seines Lebens und auch nach zehn Jahren kann er mit seiner Trauer kaum umgehen, wie amputiert fühlt er sich.

Nun lebt er einsam und allein in seinem Haus, mit wenig Ansprache und sozialen Kontakten. Um mit der Postbotin fast täglich ein paar aufmunternde Worte zu sprechen, bestellt er Bücher, die er zum Entsorgen auf der Veranda stapelt.

Es werden viele Geschichten und Themen aus Baumgartners Leben angerissen, wie kurze Schnappschüsse – diese bleiben jedoch meist nur an der Oberfläche. Die Herkunft seiner jüdischen Eltern aus dem damaligen Polen, heute Ukraine, seine Schwester, eine neue Liebe nach Jahren der Einsamkeit und eine Studentin, die den Nachlass seiner Frau für eine Dissertation durchforsten möchte – zu viele Themen stapelt Auster hier auf 208 Seiten.

Der Roman erzählt von Liebe, Schmerz und Vergänglichkeit, Alter, Trauer und Erinnerung sowie Herkunft und Einsamkeit und liest sich zeit- und seitenweise wunderschön, melancholisch und sentimental. Jedoch fehlt dem Roman dann wieder an manchen Stellen Tiefe.

Aus dem Englischen von Werner Schmitz
Autor: Vallejo, Irene; Ruby, Luis; Lohmann, Kristin

Was für eine Saga - 5 Sterne

Was für eine Geschichte!

Der trojanische Krieg ist vorbei und gilt für Aeneas als verloren – er, neben Hector der stärkste Krieger, muss fliehen. Das Orakel prophezeite ihm, dass er nach Italien reisen und dort am Ufer des Tiber die Stadt Rom gründen wird. Er gilt heute den Römer*innen als Vater Roms. Sein Sohn Iulus herrschte danach über Rom, seine Nachkommen, die Julier, werden Rom zur Metropole machen.

Auf seiner Reise über die Meere landet Aeneas nach einem Sturm an der nordafrikanischen Küste in Karthago, dass von Königin Elyssa regiert wird.

Eros erzählt, wie er es anstellt, dass sich die beiden verlieben. Virgil berichtet wie er versucht, die Geschichte von Elyssa und Aeneas zu Papier zu bringen, und dabei massive Schreibhemmungen hat. Das epische Werk, an dem er über zehn Jahre lang schrieb, sollte später als „Aeneis“ bekannt werden und in die Geschichte eingehen.

Kurz und auf den Punkt gebracht: Eine dramatische Verflechtung von Schicksalen wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt, die einen nicht mehr loslassen.

Eine faszinierende Neuerzählung dieser antiken Sage, die ich atmosphärisch und großartig fand.