Rezensionen

Reinhard Atzl

Autor: Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen - 5 Sterne

Robert Simon, der Hauptprotagonist in Robert Seethalers neuen Roman „Cafe ohne Namen„, ist kein Held, er ist aber auch kein Feigling. Er ist ein junger, selbstbestimmter Mann mit übersichtlichen Möglichkeiten und die Chance, die ihm geboten wird, ergreift er beherzt und mit dem nötigen Atem und Fleiß. Die Geschichte erzählt eben kein „Ganzes Leben“, sondern einen Lebensabschnitt von etwa 10 Jahren zwischen Mitte der Sechziger und Mitte der Siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Eine Zeit der Neuorientierung, eine Zeit gesellschaftlicher und baulicher Umgestaltung Österreichs. Es geht aufwärts.
Das Cafe ohne Namen, dessen Betreiber Herr Robert Simon ist, steht nicht nur am Rand der großen Stadt Wien, sondern auch seine Gäste stehen am Rand der großen „Erfolgs-Gesellschaft“, und so sind es auch Rand-Ereignisse, die das Leben im Cafe ohne Namen prägen. Dennoch ist es für diese Menschen der Ankerplatz, die Auspendelzone, ja für einige sogar der Garten Eden des täglichen Wahnsinns und Robert Simon der Hafenmeister. Und wie alles einmal im Stillen begonnen hat, endet auch alles unspektakulär und ersatzlos. Und doch war alles irgendwie ein wesentliches Stück vom ganzen Leben.
Autor: Welsh, Renate

Ich ohne Worte - 5 Sterne

Niemals zuvor habe ich eine so tragisch-traurige, ja aussichtslose Geschichte, ein Schicksalsereignis von solcher Plötzlichkeit und Tragweite, so poetisch erzählt bekommen, wie diese.
Man spürt auf jeder Seite den Schock und die Wut und gleichzeitig, den Stolz und Willen dieser Frau, wieder ihr Leben in die Hand, ihre Worte in den Kopf zu bekommen. Wieder in die Selbstbestimmung zurückzufinden. Zurück ins eigene Leben finden.
Frau Welsh erzählt hier ihr eigenes Lebensdrama, vom Totalausfall, vom Zusammensturz ihrer Innenwelt durch den Schlaganfall in Omegna/Italien 2021 und den langen, steinigen Weg zurück in die reduzierte Wegbarkeit, und gleichzeitig ist die Erzählung auch eine Rückblende und ein Neubetrachten sicher geglaubter Ordnung, konservierter Stand- und Stützpunkte, die, wie ein Mikado-Gebäude, kreuz & quer liegen. Eine liebevolle Klangprobe in den Resonanzraum der Erinnerung und letztlich getragen von Demut und Dankbarkeit. Groß werden im Klein sein.

Danke Frau Welsh – ich glaube auch wie Sie, dass Sprache helfen kann, das eigene Leben bewohnbarer zu machen.
Autor: Gstrein, Norbert

Vier Tage, drei Nächte - 5 Sterne

Ein starkes Stück zeitgenössischer Gegenwartsliteratur, mit wenigen, aber sehr starken Figuren, ebenso starken Orten und vielen starken Motiven. Gewohnt präzise, gewohnt gnadenlos. Da wird jedes Wort, jedes Gefühl, jede Absicht, jedes Versäumnis und jede unmögliche Möglichkeit gefragt, nachgefragt und hinterfragt. Ein Lesevergnügen von der ersten bis zur letzten Seite und schließlich eine Verdichtung in den letzten drei Geschichten, mit einer Quintessenz als Zugabe, einer strukturellen „Masse-Implosion“ mit „Schwarzem Loch“ mit der Frage, ob der Leser/ die Leserin je wieder herausfindet? Unversehrt vermutlich nicht.
Autor: Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis - 5 Sterne

Das neue Buch von Arno Geiger ist im eigentlichen Sinne eine Autobiografie oder mehr noch eine „Karriere-Beschreibung eines Schriftstellers“, auf dem langen, steinigen Weg des Werdens und sich trotzdem Treubleibens, ein Outing - wie man das heute nennt. Eine Analyse der Konstanz des Ausnahmezustandes mit kurzen, ausführlichen Erzählungen der entscheidenden und prägenden Episoden seines Lebens, seiner Beziehungen, seiner Bemühungen der Sprachfindung, die so direkt und klar und gegenwärtig am Leben, am Menschen, wie nur irgend möglich sein soll und muss, damit das Alltägliche und das Beiläufige, fundamental bleibt. Eine Sprachfindung mit allen erdenklichen Zumutungen, mit langen Durststrecken und unglaublicher Geduld. Der archäologische Weg durch den Abfall der Gesellschaft, über die Kompostierung des Geistes zu neuem Humus für die Literatur.
Großartig in seiner Schlichtheit, genial in seiner Konsequenz, mehr Geiger geht nicht.
Autor: Elisabeth R. Hager

Der tanzende Berg - 5 Sterne

Endlich der neue Roman von Elisabeth Hager, geb. und aufgewachsen in St. Johann, lebt und arbeitet in Berlin. Nach "Fünf Tage im Mai" (2019) ein weiterer Coup der außergewöhnlichen Autorin.
„Der tanzende Berg“ versetzt den Leser vor eine ins Wanken geratene „Rote Wand“, vor der wir gerne flüchten, gleichzeitig aber fasziniert, wie verwurzelt stehen bleiben – und weiterlesen. Marie – eine junge studierte Frau, zieht es von Wien zurück in ihre Heimat, wo sie den Tierpräparator-Betrieb ihrer Zieheltern weiterführt. Im Roman werden exakt 12 Stunden erzählt, während denen Marie den unmöglichen Auftrag übernimmt, das Schoßhündchen der stadtschönen Hotelierstochter bis Mitternacht auszustopfen, weil es „die Geburtstagsüberraschung“ werden soll. Diese Kadaver-Metamorphose wird gleichzeitig zur Heimat- und Jugend - Knochenschau bei der nichts unbearbeitet bleiben darf. Alles sehr tiefgehend, schmerzvoll und heiter zugleich.
Viel Vergnügen bei dieser Lektüre mit viel Lokalkolorit und verknöcherten Strukturen.
Autor: Elisabeth R. Hager

Fünf Tage im Mai - 5 Sterne

Roman, der soeben im Klett-Cotta Verlag erschienen ist und mich nicht nur begeistert, sondern auch zutiefst berührt hat. Ein zarter funkelnder Diamant, zart, weil Illys „erster Tag im Mai 1986“ als acht jähriges Mädchen erzählt wird, und funkelnd, weil dieser Roman viel Aufsehen im österreichischen Literaturbetrieb erregen wird. Nach ihrem ersten Roman „Kometen“, 2012 erschienen, der auch schon die erfrischende Geschichte einer jugendlichen Häutung erzählte, kommt jetzt, sieben Jahre später, ein echtes kleines Epos. Ein Leben in fünf Tages-Ereignissen, tiefe Gefühle, reife Gedanken und eine wahre Liebe, die selten so wahrhaftig, ehrlich und verletzlich geschildert wurde. Das berührt und bewegt die Seele des Lesers.
Auf Preise wird Frau Hager nicht lange warten müssen und LeserInnen von Taschler, Melandri und Seethaler können sich freuen, eine weitere neue Lieblingsautorin entdeckt zu haben ...
Autor: Elias Hirschl

Content - 5 Sterne

Nein -, es wäre absolut zu einfach diesen Roman als „NonsensLiteratur“ zu bezeichnen, wenngleich man sich auf weiten Strecken der Geschichte in schier kafkaeskem Irrsinn zu bewegen scheint und „ Nonsensliteratur“ auch keine Abwertung darstellen würde, denke man nur an die berühmten Vertreter dieses Genres im 20. Jahrhundert. Aber zurück zum Roman von Elias Hirschl: Content, übersetzt Inhalt, und das impliziert auch vorherrschende Inhaltslosigkeit, also Sinnleere, ergo Unsinn – Nonsens. Wenn man also das Umfeld, in dem der Roman handelt, mit der Zeit, in der die Geschichte spielt, nämlich jetzt, vergleicht, dann ist das für uns vorstellbare Morgen, bereits gestern. Hirschl entwirft in dieser Geschichte eine nachvollziehbare Kryptowirtschaft in einer Kryptogesellschaft, in der KI-generierte Digi-Social-Medias alles formt und beherrscht. Die neuen fake-news, also die neuen KI-fake-news, persiflieren unsere Existenz auf das Vollkommene. Achtung – sehr wichtig: alle neuen Begriffe des DigiSprech muss der Leser parat haben, sonst verirrt er sich im IT-Dschungel.
Alles in Allem aber sehr zu empfehlen, wenn man wenigstens mit einem Auge der neuen Welt noch folgen möchte.