Rezensionen

Rezensionen von Miro

Autor: Gerda Blees

Wer nicht alles eine Geschichte erzählen kann! - 4 Sterne

Elisabeth ist tot. Einfach gestorben in der Nacht. Ihre Mitbewohner*innen der Wohngemeinschaft Klang & Liebe waren bei ihr und haben ihr einfach dabei zugesehen. Elisabeth hat sich, wie ihre Schwester und Freunde, von Nahrung losgesagt und lebte von Licht und Energie. Sie war wohl die Schwächste, oder hat am wenigsten geschummelt.

Aufgrund dieser Thematik wollte ich dieses Buch eigentlich nicht lesen. Ich hasse die Weisheiten, die solche Menschen verbreiten. Sie finden Anhänger, die traumatisiert und einsam sind und dadurch leicht manipuliert werden können. Bei manchen Sätzen der Anführerin stellten sich mir die Nackenhaare auf.

Die vielen guten Bewertungen haben mich überzeugt, die Lektüre doch zu wagen und ich habe es nicht bereut. Gerda Blees hat einen großartig kreativen Weg gewählt um uns diese tragische Geschichte zu erzählen. Hier kommt ein Brot zu Wort, ein Kugelschreiber, Zigaretten, die kognitive Dissonanz, der Zweifel und sogar die Erzählung selbst.

Jedes Kapitel überrascht aufs neue und die verschiedenen Sichtweise formen langsam ein Bild der Wohngemeinschaft Klang & Liebe, die von ihren Prämissen nicht weiter entfernt sein könnte.

Der Autorin ist hier ein grandioses Debüt gelungen. Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie begeistert ich gewesen wäre, hätte mir auch noch die Thematik gefallen. Ich ziehe meinen Hut vor dieser Idee, muss aber trotzdem einen Stern abziehen, weil es meinen persönlichen Interessen einfach so gar nicht entspricht. Ich kann nicht behaupten, das Buch uneingeschränkt gerne gelesen zu haben, aber ich freue mich jetzt schon auf das nächste Buch von Gerda Blees!
Autor: Julya Rabinowich

Mut gegen Rassismus - 5 Sterne

Endlich hat Madina mit dem Rest ihrer Familie eine eigene Wohnung im Haus ihrer besten Freundin Laura. Und endlich hat sie ein neues Zuhause, wo sie sich wohl und sicher fühlen kann.

Sie blüht auf, wird mutiger und auch ihre Tante beginnt ihre Verletzungen und Traumata zu überwinden.

Doch der Friede währt nicht lange, denn am Hauptplatz finden sich immer mehr Menschen zu den Donnerstagsdemos ein, die gegen Ausländer skandieren. Immer wieder finden sich schmähende Schriftzüge auf Statuen und Hauswänden. Madina fühlt sich verletzt und möchte mit ihren Freunden etwas dagegen tun. Das Ganze eskaliert an einem schönen Frühlingsabend, den sie eigentlich auf dem Jahrmarkt verbringen wollten. Ein wütender Mob findet sich vor ihrem Hauseingang und zwingt die Bewohnerinnen sich ihren Ängsten zu stellen.

Julya Rabinowich zeigt hier mit dem Finger auf den aufkommenden Rassismus in den letzten Jahren und lässt uns ein Gefühl dafür bekommen, wie es sich für die Betroffenen anfühlt, die sich eigentlich sehr gut integriert fühlen und doch immer wieder schmerzlich darauf hingewiesen werden, dass sie niemals dazugehören werden.

Bei der Lektüre leiden wir mit Madina, denn wir freuen uns, dass sie gut in der Schule ist, die Sprache perfekt beherrscht und auch endlich Jeans tragen kann. Sie ist ein Teenager wie alle anderen im Ort und doch sticht sie immer wieder heraus und muss sich mit Problemen befassen, die ihrem Alter nicht entsprechen. Immer wieder flammen Erinnerungen auf an den Krieg, Bilder, die niemand im Kopf haben sollte und Ängste die viel tiefer liegen, als wir es uns vorstellen können.

Die Autorin geht sehr einfühlsam mit ihren Figuren um, lässt uns auch mal einen Blick in ihr Innerstes werfen und hilft uns, mehr Verständnis für Zugezogenen aufzubauen.

Die Entwicklung der Protagonist*innen ist ebenfalls sehr gelungne. Madina hat sich eingelebt, wird freier und auch mal frecher, Laura bekommt ebenfalls ein Gespür dafür, wie sich Ausgrenzung anfühlt, Tante Amina's Wunden heilen und sie wird wieder zu der Kämpferin, die sie vorher war und auch Madina's Mutter beginnt ihre Trauer zu überwinden und sich auf das neue Leben einzulassen.

Mir hat auch diese Fortsetzung sehr gut gefallen und es fehlt dem Roman nicht an Tiefe, auch wenn es ein Jugendbuch ist. Einzig die Scheußlichkeiten, die alle erleben mussten, werden nicht explizit angesprochen, aber das muss nicht sein. Das brauche ich auch als Erwachsene nicht.

Ich empfehle Madina's Geschichte allen, die sich mit der Thematik Flucht, Integration oder Rassismus auseinandersetzen wollen und allen, die vielleicht davon betroffen sind und sich von dieser Geschichte abgeholt fühlen können.

Und ich freue mich auf eine weitere Fortsetzung, die angeblich schon im Kopf der Autorin herumspukt!
Autor: Hanya Yanagihara

Das Haus am Washington Square - 4 Sterne

Mit "Zum Paradies" hat die Autorin ein episches Werk mit fast 1000 Seiten vorgelegt. Es wirkt fast ein bisschen einschüchternd, aber wenn man zu lesen beginnt, erscheint es gar nicht mehr so mächtig.

Das Zentrum des Buch bildet das Haus am Washington Square, das durch die Jahrhunderte mehr oder weniger das selbe bleibt. 1894 liegt es in einem florierenden Freistaat und sein Besitzer ist ein berühmter Bankier und Mitbegründer des liberalen Landes. Er zieht seine Enkelkinder groß und möchte sie gut verheiratet sehen. Gleichgeschlechtliche Ehen sind normal und werden üblicherweise arrangiert. Doch David, das Sorgenkind möchte außerhalb seines Standes sein Glück finden.

Hundert Jahre später finden wir uns in einem New York, wie wir es kennen und das Haus wird bewohnt von einen ungleichen Paar - ein älterer Advokat und sein Partner ein junger, mittelloser Hawaiianer. Die homosexuelle Szene ist eingeschüchtert von der Krankheit. HIV dominiert die Sorgen und Nöte und viele Freunde der beiden sind erkrankt oder bereits gestorben.

Und weitere hundert Jahre später befinden wir und in einer dystopischen Welt, die durch Pandemien und die Klimakrise in eine Diktatur geführt wurde. Das Haus am Washington Square ist nun ein Mehrparteienhaus. Lebensmittel und Wasser sind rationiert, Information gibt es nur mehr vom Staat und Freiheit ist ein Fremdwort, an das sich nur noch die ältere Generation erinnert.

Damit wir dieser Entwicklung folgen können, erzählt uns die Autorin die Geschichte dazwischen in einem Briefroman. In wechselnden Kapiteln lesen wir vom Aufbau dieses Terrorregimes, in das die Gesellschaft durch den Schutz vor Krankheiten "gerutscht" ist. Zu spät haben die führende Köpfe erkannt, wohin ihre Maßnahmen führen.

Dieser dritte Teil ist sicher der stärkste Teil des Buches. Wir finden Vieles wieder, das uns ängstigt, wenn wir an die Zukunft denken. Und dieser Teil ist auch der spannendste! Spätestens ab hier, kann man das Buch kaum mehr aus der Hand legen.

Jetzt stellt sich mir die Frage, warum man diese ganzen Vorgeschichte braucht, um diesen dystopischen Roman zu lesen. Die Verbindungen zwischen den Teilen sind recht lose. Man kann keine Verwandtschaftsbeziehungen entdecken, obwohl sich die Namen ständig wiederholen. In allen Teilen heißen die Protagonisten gleich. Es finden sich immer Davids und Charles' und Nathaniels die Bingham oder Griffith heißen. Das stiftet Verwirrung und stößt immer wieder die Frage an, warum?

Ist es ein Hinweis auf Charakterzüge? Auf Wiedergeburt? Auf den ewigen Kreislauf? Ich kann es ehrlich nicht beantworten. Vielleicht ist es auch einfach nur ein Spleen der Autorin. Mangelnde Kreativität kann es definitiv nicht sein, denn der Roman beweist das Gegenteil. So eine Geschichte muss man sich erst einmal ausdenken können. Alle drei Zeiten strotzen vor Ideen und manchmal sind die Beschreibungen der Umgebung, des Alltags etwas ausufernd.

Das ist auch meine einzige Kritik an diesem Werk, das mich mehrere Tage lang ausgezeichnet unterhalten und zu Diskussionen mit anderen Leser*innen angeregt hat. Es wirkt nach. Deshalb empfehle ich es allen, die sich an ein seitenstarkes Buch heranwagen!
Autor: Cornelia Franz

Wie aus Lebensfreude politischer Widerstand wurde - 5 Sterne

Sommer 1939: Henri muss seinen Englandaufenthalt vorzeitig abbrechen, weil der Krieg jederzeit ausbrechen kann und es dann für Deutsche da ungemütlich wird. Henri liebt alles an England: die Sprache hat es ihm angetan, aber vor allem die Musik, die einfach nur Lebensfreude verspricht und bei der man so richtig abhotten kann.

Er und seine Freunde lassen sich das nämlich nicht nehmen. Sie treffen sich im Freibad, in den Parks oder am Fluss. Immer hat jemand ein Grammophon dabei und Platten werden abgespielt. Auch als die Stimmung immer düsterer wird, sie von Passanten beschimpft und von den Jungs der Hj verfolgt werden, geben sie nicht auf und tanzen gegen die düstere Stimmung.

Die Lage spitzt sich zu und für die Freunde wird es immer schwieriger, Orte zu finden, an denen sie sich noch treffen können. Aus Beschimpfungen werden Prügeleien und aus Prügeleien werden Festnahmen. Obwohl es immer ernster wird, wagen die Freunde, was wir heute Flashmob nennen, um darauf aufmerksam zu machen, dass nicht alle Deutschen dem System angehören.

Die Swingkids oder "Swingheinis", wie sie hier im Buch genannt werden, waren ein Gruppe Jugendlicher, die sich dem Regime nicht unterwerfen wollten und dadurch zu Widerständlern wurden. Auch wenn ihre Motivation nicht primär politisch war, waren sie den Nazis doch ein Dorn im Auge. Verkörperten sie doch alles, was diesen verhasst war.

Die Autorin hat diese Tatsache gut dargestellt. Die Bewegung entspringt dem einfachen Bedürfnis nach Spaß und Unterhaltung und wird mit Kriegsbeginn zunehmend politischer. Je größer der Druck auf die Jugendlichen wird, umso größer wird ihr Wagemut und langsam entsteht daraus eine tatsächliche Botschaft, die sie am Ende auch weitergeben wollen.

Stilistisch ist das Buch recht einfach gehalten, sodass es auch lesefaule Jugendliche ansprechen kann. Die Figuren sind so gestaltet, dass sich alle Leser*innen jemanden zum identifizieren finden können. Die Bewegung beginnt so harmlos, dass man sich selbst leicht im Widerstand sehen kann. Und wer wünscht sich das nicht.

Das Buch ist nicht rein linear erzählt. Auf schwarzen Seiten finden wir zwischendurch immer wieder einen Dialog aus dem SS-Untersuchungsgefängnis, denn Henri wurde schlussendlich verhaftet. Dort lernt er einen sehr politisch engagierten Jugendlichen kennen, der bei den Kommunisten aktiv war.

Diese Gespräche geben der ganze Geschichte eine vertiefende Dimension und verdeutlichen nochmals die Ernsthaftigkeit der Jugendlichen, die sich ihre Lebensfreude einfach nicht nehmen lassen wollten.

Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen, obwohl ich nicht zur Zielgruppe gehöre. Diese Swingkids konnten mich schon immer begeistern und hätte ich damals bereits leben müssen, wäre ich gerne eine von ihnen gewesen.

Ich hoffe, diese Buch wird von ganz vielen jungen Leuten gelesen, die darin den Mut zur Zivilcourage finden, die wir auch heute so dringend brauchen!
Autor: Sandra Grimm

Liebenswert! - 5 Sterne

Willkommen auf dem Bauernhof! In liebevoller Illustrationen begegnen die Kleinsten den Bauernhoftieren. Die Tiere haben freundliche Gesichter und schöne große Kulleraugen. Sie sind echte Hingucker.

Jede Seite hat einen kleinen Vierzeiler zum Vorlesen, der fast immer mit einem Tierlaut eingeläutet wird. Das zaubert immer ein Lächeln in die Kindergesichter.

Außerdem können dann Tiere und Dinge gesucht und gezählt werden und auf Knopfdruck kann man überprüfen, ob man alle gefunden hat. Da leuchten dann kleine Lichter auf.

Es ist ein Buch für Bilderbuchbeginner*innen in stabilem Pappkarton. Das hält auch einiges aus, wenn die Eltern mal nicht Zeit haben, das Buch mit dem Kind gemeinsam zu betrachten. Die bunten Bilder begeistern auch ohne Text.

Ich habe das Buch mit meiner Nichte angeschaut und ihr die Texte vorgelesen. Sie ist jetzt ein Jahr alt und konnte sich schon dafür begeistern. Das Buch lässt auch Spielraum für eigene Worte und Tierlaute.

Das wird bestimmt nicht ihr einziges Buch aus dieser Reihe bleiben.
Autor: Gina Mayer

Ruby als Springreiterin - 5 Sterne

Die Ocean Ranch ist in Gefahr. Hegarty will sich rächen und einen Flugplatz für Privatflugzeuge auf dem Feld direkt neben der Ranch errichten. Das wäre für die Pferde eine Katastrophe. Die Ranch könnte so nicht weiter bestehen.

Ruby und ihre Freunde überlegen, wie sie Patrice und Kelly helfen können. Ruby fasst sich ein Herz und sucht heimlich den Besitzer des Feldes auf, um ihn zu bitten, seine Feld doch lieber an Patrice zu verkaufen. Der Besitzer ist nicht abgeneigt, knüpft diese Zusage allerdings an eine Bedingung. Ruby soll an seinem Turnier teilnehmen. Wenn sie es schafft in ihrer Altersklasse zu gewinnen, wird es keinen Flugplatz geben.

Natürlich stellt sich Ruby dieser Herausforderung. Doch Patrice weigert sich, sie zu trainieren. Wird Ruby einen Weg finden, sich auf ein Turnier vorzubereiten? Und welches Pferd könnte sie da reiten? Und wie wird Patrice darauf reagieren, der dem Turnierbetrieb doch so skeptisch gegenübersteht?

Dieser Band ist wirklich spannend. Ruby wächst über sich hinaus. Sie ist mutig, trainiert hart und ihre Freunde stärken ihr den Rücken. Die Gemeinschaft auf der Ocean Ranch ist uns mittlerweile richtig ans Herz gewachsen. Meine Tochter und ich freuen uns schon jetzt auf den nächsten Band, der im Februar erscheinen wird.
Autor: Kirsten Fuchs

Reise auf einem Containerschiff - 3 Sterne

Diese Buch war leider völlig anders als erwartet. Klappentext und Leseprobe klangen sehr spannend: Eine Freundin steckt in Schwierigkeiten und natürlich kommt das Rudel zusammen und hilft.

Die Freundinnen brechen auf nach Marokko, aber ihrer Freundin Bea helfen sie nicht. Denn dafür dauert die Reise mit dem Containerschiff einfach zu lange. Bis sie ankommen, haben Bea und ihr Vater alles geklärt.

Das Buch handelt hier von den Zuständen auf so einem Schiff, den Arbeitern, die teils aus sehr prekären Verhältnissen kommen. Ganze Familien sind auf die Heuer der Männer angewiesen.

So eine Schifffahrt ist naturgemäß ruhig und ereignisarm. Damit das alles nicht zu langweilig wird, hat sich die Autorin schon einiges einfallen lassen. Die Mädels erleben ihr Abenteuer, aber eben ein komplett anderes. Mich hat diese Geschichte nicht wirklich angesprochen. Und streckenweise fand ich den pittoresken Erzählstil der Autorin sehr ermüdend. Das war mir alles etwas zu detailliert.

Allerdings kann ich mir vorstellen, dass das Buch bei jüngeren Leserinnen wesentlich besser ankommt. Denn es geht auch um Freundschaft, Geheimnisse, Beliebtheit und Verantwortung. Eine Menge Themen, die für Mädchen zwischen 14 und 16 sicher interessant sind.

Den Vorgänger "Mädchenmeute" muss man nicht zwingend gelesen haben. Wo es nötig ist, geht die Autorin auf die Vorgeschichte ausreichend ein, damit man sich auskennt. Allerdings werde ich dieses Buch nicht mehr lesen, denn überzeugen konnte mich die Autorin nicht.
Autor: Anthony Doerr

Was für ein großartiges Leseerlebnis! - 5 Sterne

"Fremder, wer immer du bist, öffne dies und siehe, was dich erstaunen wird"

Wolkenkuckucksland, das Reich über den Wolken, wo Milch und Honig fließt und alle Sorgen vergessen sind. Ein verschollenes Werk des Autors Diogenes auf seiner Reise durch Raum und Zeit.

Mit der Lektüre treten wir eine Reise an. Wir erobern Konstantinopel im 14. Jahrhundert, folgen einem flüchtenden Mädchen aus den Mauern der Stadt, begleiten einen Waisenjungen in den Vietnamkrieg und in Gefangenschaft, versuchen mit einem schwierigen Jungen in prekären Verhältnissen die Welt zu verbessern und erleben das Aufwachsen in einem Generationenraumschiff auf der schier unendlichen reise nach Beta Oph 2.

Der Vergleich mit Mitchells Wolkenatlas liegt natürlich nahe, erinnert doch auch schon der Titel ein bisschen daran. Doch was bei Mitchell lose aneinander gefügt ist, hat Anthony Doerr in seinem Buch fest verwoben.

All diese scheinbar so weit entfernten Erzählstränge fügen sich ganz wunderbar in ein großes Ganzes. Kein Faden geht verloren und je weiter man fortschreitet auf dieser Lesereise, umso mehr erkennt man von diesem Webmuster.

Ich bin restlos begeistert. Die einzelnen Stränge sind interessant, berührend und spannend. Die Figuren sind wunderbar gezeichnet und mir ,wie lange nicht mehr, ans Herz gewachsen. Ich bin traurig, das Buch nun schließen zu müssen, denn ich bin unglaublich gern mit Doerr durch Raum und Zeit gereist.

Von mir gibt's eine klare Leseempfehlung für alle, die große Geschichten mögen!

"Alle Zeiten und Geschichten werden am Ende zu ein und derselben."
Autor: Hwang Sok-Yong

Anders und doch nicht so anders - 5 Sterne

Glupschaug und seine Mutter können die Miete am Berhangslum nicht mehr bezahlen, weil der Vater in ein Umerziehungslager verfrachtet wurde. Ihre einzige Chance bietet ihnen der Baron, der ihnen den Umzug auf die Blumeninsel ermöglicht.
Die Blumeninsel ist die größte Müllhalde in der Nähe von Seoul. Dort lebt die Gesellschaft der Müllsammler; die Menschen, die es in der Stadt nicht geschafft haben, die die Stadt ausgestossen hat, wie den Müll, von dem sie leben.
Diese Welt, die Glupschaug und seiner Mutter schnell vertraut wird und die wir uns kaum vorstellen mögen, beschreibt der Autor mit einer unglaublichen Verve. Er zeigt uns eine Gesellschaft, die gut organisiert und strukturiert ist. Wo die Kinder auch einfach Kinder sind. Sie sind neugierig, spielerisch, lieben es ein Geheimversteck zu finden und manchmal ihre Tage einfach dahinplätschern zu lassen.
Die Erwachsenen lassen ihre Tage an den Tonnenfeuern ausklingen, essen und trinken zusammen und natürlich gibt es auch Streit und Rankeleien. Aber der Autor schafft es, die Menschen, die an der untersten Stufe angekommen sind, mit Würde darzustellen.
Hang Sok-yong hat eine Geschichte geschrieben, die gar nicht so trostlos ist, wie man es vermuten würde. Man könnte jetzt meinen, er verzärtelt das Leben der Müllsammler. Aber das macht er nicht. Er beschönigt nicht. Er zeigt uns lediglich, dass Menschen die unter giftigen Dämpfen und bestialischem Gestank leben, auch Träume haben, sich amüsieren wollen, Freundschaften pflegen, lieben und Kinder erziehen. Sie sind gar nicht so anders als wir. Sie essen nur, was wir für nicht mehr gut genug befinden.
Zusätzlich zur Tatsache, dass der Autor uns eine Welt nahebringt, die leider vielen Menschen vertraut ist, gibt es in diesem Roman noch ein Element des magischen Realismus. Es könnte auch ein Element aus dem Shintokult sein. Auf jeden Fall zeigt er auf, dass die Welt der Geister einfach neben unserer Welt besteht und zeigt uns somit, wie die Blumeninsel vor ihrer neuen Bestimmung als Misthaufen ausgesehen hat und wie sie ja auch jetzt wieder aussieht. Denn die Geschichte spielt in den 70er oder 80er Jahren. Was aus den Menschen wurde, die ihr Auskommen dort fanden, weiß ich leider nicht. Es bleibt die Hoffnung, dass es diesen Broterwerb einfach nicht mehr braucht.
Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Ich fand es beeindruckend, wie behutsam der Autor mit seinen Figuren umgeht, ihre Würde bewahrt. Außerdem gibt das Buch ordentlich zu denken, was unser Konsumverhalten anbelangt.
Uns zusätzlich gefällt mir, wie schön der Autor die dreckige Seite Südkoreas zeichnet!
Autor: Jasmin Schreiber

Wenn der Traum vom Fallen wahr wird - 4 Sterne

Prometheus ist auf der Flucht. Mit seiner schwarzen Arztkutsche rast er in den Norden, bis er am Strand in Dänemark nicht mehr weiterkommt. Ja, er wollte ins Meer fahren; der Sand hat seine Räder blockiert.

Gefunden wird er von einer mürrischen, älteren Dame, die ihn erst mal mitnimmt auf ihren Hof, den sie gemeinsam mit ihrer Frau Helle betreibt. Sie haben außerdem eine kleine Pension und derzeit keine Gäste.

Die beiden Frauen sehen Prometheus seine Verzweiflung an und stelle erstmal keine Fragen. In der Natur kann er seiner Trauer freien Lauf lassen und die Arbeit mit den Tieren gibt ihm wieder Halt unter den Füßen.

Doch irgendwann muss sein Geheimnis an die Oberfläche und natürlich sind wir als Leser*innen auch gespannt, ob er sich nur die Schuld an Jakobs Tod gibt, oder tatsächlich auch schuldig ist.

Wie schon in ihrem ersten Roman beschäftigt sich Jasmin Schreiber mit dem Tod eines nahestehenden Menschen. Doch wo "Marianengraben" durchzogen von feinsinnigem Humor war, findet sich hier nur Verzweiflung. Das Ganze ist zwar aufgelockert durch Erzählungen aus der Kindheit der beiden Freunde. Wir erfahren, wie sie sich kennenlernten, was sie miteinander erlebten und wie nahe sie sich immer standen.

Die ganze Geschichte ist sehr berührend, aber Prometheus' Entscheidungen haben mich bei der Lektüre auch wütend gemacht und den Humor habe ich ganz klar vermisst. Trotzdem hat mir das Buch gefallen.