Rezensionen

Rezensionen von Petris

Autor: Moritz Rinke

Die Abenteuer eines Postboten auf Lanzarote - 5 Sterne

Pedro Fernández Gárcia lebt auf Lanzarote und übt einen Beruf aus, der in Zeiten von Internet kaum mehr gebraucht wird. Ein paar Postwurfsendungen, ein paar Rechnungen, Fachzeitschriften für einen deutschen Wissenschaftler und ein paar ganz wenige Briefe. Um seine Leistung nachzuweisen, muss er nur genügend tanken. Pedro hat seine Taktiken, fährt zum Kaffeetrinken ans andere Ende der Insel, hat in seinem Gartenhaus Kanister voller Benzin. Nachdem Carlota, die Mutter seines Sohnes Miguel viel arbeitet, kümmert Pedro sich um seinen Sohn. Er bringt ihn zur Schule, vergießt dabei ein paar Tränen, flirtet mit der Mutter einer Mitschülerin, holt ihn ab, macht mit ihm Hausaufgaben und hört ihm zu. Pedro liebt seinen Sohn. Damit und mit seinem Dasein als Postbote ist er zufrieden. Nicht so Carlota. Eines Tages ist sie einfach weg. Und hat Miguel mit sich nach Barcelona genommen, Anrufe werden abgelehnt, Pakete für Miguel zurückgeschickt. Pedro ist verzweifelt. In dieser Zeit unternimmt er wieder mehr mit Tenaro, einem Jugendfreund und arbeitslosen Fischer. Dieser versucht ihn zu trösten, abzulenken und für seine völlig irrwitzigen Projekte zu gewinnen. In Pedros Leben stolpert auch noch der Geflüchtete Amado, ein Professor für Spanisch, der aus seiner Heimat Equatorial Guinea geflohen war, eine weise, sehr schöne Figur, die für Hoffnung steht, aber auch dafür, wie in Europa Geflüchtete behandelt werden. Da hat Tenaro die zündende Idee: Sie überraschen Miguel in Barcelona, gehen mit ihm ins „El Clásico“ (Fußballmatch zwischen Barcelona und Madrid), erfüllen Miguels großen Traum Messi „in Echt“ zu sehen und nehmen ihn dann gleich mit zurück nach Lanzarote. Ob ihnen das gelingt?
Diese Geschichte bildet den Rahmen für einen sehr poetischen, sehr vielschichtigen Roman voller Menschlichkeit, Tragikomik, Situationskomik und auch Gesellschaftskritik. Es finden sich Filmzitate (Il Postino z.B., an den mich schon die Leseprobe erinnert hat), Rinke zeichnet zudem ein sehr gut beobachtetes Bild der spanischen Gesellschaft mit ihrer Spaltung aufgrund der bis heute nicht aufgearbeiteten Diktatur und das Buch ist eine Liebeserklärung an die wunderschöne Vulkaninsel Lanzarote.
Der Roman liest sich wie ein Film, unterhält, berührt und macht nachdenklich. Ein sehr schönes Buch!
Autor: Louise Brown

Sehr tröstlich, sehr persönlich! - 5 Sterne

Der Tod. Etwas, das uns alle erwartet, etwas, dem niemand entkommen kann, etwas, womit wir uns wohl viel mehr beschäftigen sollten. Mit dem Tod allgemein, mit dem eigenen Tod und vor allem auch mit dem Tod von geliebten Menschen und dem Weiterleben danach. Dabei weiß jede:r, der:die sich diesem Thema gestellt hat, darüber gesprochen hat (auch über die Ängste), sich damit beschäftigt hat, wie heilsam und wohltuend das ist. Die Trauer wird deshalb nicht weniger, aber man kann anders damit umgehen, die Angst vor dem Unbekannten bleibt auch, aber sie wird leichter, wenn man sich damit auseinandersetzt.
In ihrem sehr persönlich gehaltenen Buch widmet sich die Trauerrednerin Louis Brown all diesen Themen. Ihr Zugang ist ein ganz persönlicher, denn ihr Weg als Trauerrednerin war nicht vorgezeichnet. Erst der Tod beider Eltern kurz hintereinander hat sie dazu gebracht, sich mit Tod und Trauer zu beschäftigen und später kam dann der Schritt, Trauerrednerin zu werden.
Was ich so schön finde an diesem Buch ist, dass es so persönlich gehalten ist und dass es kein Ratgeber sein will. Da erzählt einfach jemand von seinen persönlichen und beruflichen Erfahrungen mit Tod und Trauer, von Begegnungen mit Trauernden und davon, wie heilsam es ist, diesen Themen Raum zu geben und darüber zu sprechen. Sie gibt auch keine Anleitungen, wie man mit Trauer umzugehen hat, sondern es wird klar, dass das etwas sehr Persönliches und auch Individuelles ist. Und dass es keine Abkürzung gibt. So wie wir dem Tod nicht entkommen können, müssen wir auch unsere Trauer aushalten. Jede:r auf seine:ihre Weise.
„Was bleibt, wenn wir sterben“ ist ein Buch, das ich allen empfehlen kann, die gerade jemanden verloren haben, aber auch, wenn sie kurz davorstehen. Es ist aber auch ein Buch für Leser:innen, die sich einfach mit dem Thema Tod und Abschied beschäftigen wollen. Ich fand es sehr gelungen. Tröstlich, informativ und gut zu lesen!
Autor: Jasmin Schreiber

Von Trauer, Freundschaft und Schuld - 5 Sterne

Prometheus ist auf der Flucht, mit erstem Name heißt er eigentlich Marvin, doch schon als Kind hat er durchgesetzt, mit seinem zweiten Namen angesprochen zu werden. Er ist Arzt, und irgendetwas ist passiert. Er fühlt sich schuldig, und er muss auch tatsächlich Schuld auf sich geladen haben, denn bevor er seine SIM-Karte zerstört, erfährt er noch, dass die Polizei nach ihm sucht. Ist es der Tod seines besten Freundes? Ist er dafür verantwortlich? Sein Versuch, ins Meer zu fahren, geht schief, er wird von zwei alten Frauen aufgelesen und findet Unterschlupf auf ihrem Pferdehof und dort Raum und Zeit, sich seiner Schuld zu stellen.
Sehr emotional erzählt Jasmin Schreiber diese Geschichte, lebendig wird sie auch durch die vielen Naturbeobachtungen, die sie einflicht. Es ist eine Geschichte von Freundschaft, von starken Frauen, von Schuld, von Punkten, an denen jemand falsche Entscheidungen trifft, von „gut gemeint“, das schrecklich schief gehen kann, aber auch von Verzeihung. Sie wechselt zwischen Rückblicken in die Vergangenheit, Naturbeobachtungen, Prometheus aktueller Innenschau und kurzen Dialogen zwischen den beiden Frauen, die Prometheus aufgelesen haben, ab. Es sind Szenen der engen Freundschaft von Jakob und Prometheus als Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, Erinnerungssplitter, die Prometheus nicht verdrängen kann und Szenen der großen Trauer, Schuld und Verzweiflung, in der sich Prometheus aktuell befindet.
Der Roman ist schön zu lesen, ich konnte ihn nicht mehr weglegen, wollte herausfinden, was wirklich passiert war. Ich mag Jasmin Schreibers Sprache und finde wie schon bei „Marianengraben“, dass sie eine sehr begabte Autorin ist.
„Marianengraben“ hat mich vom Thema her noch etwas mehr begeistert, aber auch „Der Mauersegler“ ist wieder ein sehr lesenswerter Roman. Ich werde ihn wärmstens weiterempfehlen.
Autor: Reinhard Tötschinger

Der Restaurator als Fälscher - 5 Sterne

Der Roman spielt in einer nahen Zukunft, 2022, der junge Kanzler (Ähnlichkeiten mit dem tatsächlichen österreichischen Kanzler, sowie diverser anderer Persönlichkeiten sind gut gelungen!) hat viel erreicht. Medien, Gerichtbarkeit, Demonstrationsrecht sind noch weiter eingeschränkt, der Wille des Kanzlers ist Befehl.
Clemens Hartmann, Chefrestaurator im Kunsthistorischen Museum, bekommt das zu spüren. Der nach einem Attentat schwer beschädigte Vermeer „Die Malkunst“ soll in einer Rekordzeit restauriert werden, weil ihn der Kanzler in seinem Büro hängen haben will. Ähnlich wie ihn Hitler für sich beansprucht hatte. Doch Hartmann findet, dass das Gemälde der Allgemeinheit gehört, die Idee, eine Kopie für den Kanzler anzufertigen, wird jedoch abgelehnt. Soll er sich widersetzen? Die Kopie heimlich anfertigen? Wie soll das gehen? Doch auch sein Assistent findet diese Idee gut. Wird es gelingen? Werden sie sich trauen?
In seinem sehr spannenden, sehr schön erzählten Roman nimmt uns Tötschinger mit in die Welt der Kunst. Er spart nicht an Kritik an der Gesellschaft, an den politischen Tendenzen und an einer Welt, in der es nur um Optimierung und Zahlen geht. Doch das lässt er wie nebenher in seine Geschichte einfließen, ohne dass der Erzählfluss darunter leidet. Zwischendurch wird auch die Geschichte des Gemäldes erzählt und wir erfahren am Rande auch noch etwas über Naziraubkunst und Restitution. All diese Teile fügen sich zu einem schönen Roman voller Hintergrundwissen und lebendig gezeichneten Charakteren.
Mich hat „Rochade“ auf allen Ebenen überzeugt. Das Buch ist unglaublich spannend zu lesen, sprachlich gelungen und voller interessanter Themen. Lesegenuss pur!
Autor: Schulte, Stefanie vor

Das Gute im Menschen - 4 Sterne

Martin ist 11 Jahre alt und hat ein schweres Leben hinter sich. Er besitzt nichts, er hat niemanden, der sich um ihn kümmert, nur sein schwarzer Hahn steht ihm zur Seite, wärmt ihn, hört ihm zu und spricht mit ihm. In einer Wahnsinnstat hat sein Vater die ganze Familie ermordet, nur Martin hat überlebt. Seither ist er dem Dorf unheimlich, denn trotz der schweren Geschichte ist er ein guter Mensch, immer freundlich. Und klug noch dazu. Täglich führt er ihnen alleine durch seine Existenz vor Augen, dass sie ihn alleine gelassen haben, dass sie nicht für ihn da waren, dass niemand bereit war, ihn aufzunehmen. Als eines Tages ein Maler ins Dorf kommt, weiß Martin nur eines: Er wird mit ihm gehen. Und er wird sich auf die Suche machen nach dem Geheimnis der verschwundenen Kinder, die jedes Jahr von dunklen Reitern entführt werden. Und er wird wiederkommen, um Franzi zu holen, die zweite gute Seele in seinem Dorf.
Damit beginnt eine abenteuerliche Reise, auf der Martin die Abgründe der Menschen noch besser kennenlernen wird. Immer an seiner Seite – der Hahn.
Dieser Roman ist sehr ungewöhnlich, er spielt in einer nicht genau benannten Gegend in einer alten Zeit vor der Industrialisierung, man würde die Geschichte wohl im Mittelalter einordnen. Doch mit der Zeit nimmt die Geschichte immer märchenhaftere Züge an, der Hahn spricht wirklich, nicht nur in Martins Vorstellung, die Kinder werden von einer bösen, alten Fürstin entführt, gleich der Hexe oder bösen Stiefmutter im Märchen. Und die Figuren (bis auf einige wenige) sind entweder böse oder gut. Wobei das Böse eindeutig im Vordergrund steht.
Mich hat das irritiert, weil für mich nicht ganz klar war, was der Roman eigentlich sein will – Märchen? Oder doch eine Schilderung der „alten Zeiten“? Eine Gleichnis über das Gute und Böse? Für mich hat sich das bis zum Schluss nicht ganz geklärt. Auch sprachlich glitt es dafür manchmal zu sehr in modernes Deutsch ab. Zudem erinnerte mich der Roman sehr an „Halbbart“ von Charles Lewinsky, den ich sowohl sprachlich als auch inhaltlich wesentlich dichter, vielschichtiger und besser fand.
Auf alle Fälle ist „Junge mit schwarzem Hahn“ ein ungewöhnlicher, gut geschriebener Roman, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Zur vollen Sterneanzahl hat es allerdings nicht gereicht.
Autor: Jodl, Angelika

Zwischen Deutschland und Georgien - 3 Sterne

Olga ist Deutsche, so fühlt sie sich auch. Sie studiert Medizin, steht kurz vor ihrer letzten Prüfung. Sie hat einen festen Freund, ebenfalls Mediziner, mit dem sie eine gemeinsame Zukunft plant. Er ist nett, zugewandt, attraktiv und, für sie ein wichtiges Argument, sein Nachname hat nur zwei Silben. Denn Olga heißt Evgenidis, ihre Familie stammt aus Georgien, spricht einen alten Dialekt, küsst Ikonen und verheiratet Frauen jung. Olga kann mit all dem nur wenig anfangen und freut sich über ihr Leben mit Felix und als Ärztin.
Eine Grundlage, auf der man einen wunderbaren Roman über Rassismus, über Akzeptanz, auch über Identität erwarten würde. So beginnt er auch. Doch dann tritt Jack auf. Das genau Gegenteil von Felix, unstet, immer knapp bei Kasse, begabt, aber ohne Plan,… Schon sein erster Auftritt, als er Olga einfach in den Zug folgt, finde ich weniger romantisch, sondern eher bedenklich. Für mich ist das Stalking. Doch Jack ist so anziehend, so attraktiv. Der darf das, denn Olga fühlt sich von Anfang an angezogen.
Auch die Geschichte der Familie wird immer klischeehafter, als dann plötzlich alle nach Georgien müssen, wird es nicht besser. Es ist schön, etwas über dieses spannende Land zu lesen, doch bleibt alles sehr an der Oberfläche und bedient vor allem Klischees.
Nachdem ich mich trotz allem über große Strecken hinweg sehr gut unterhalten gefühlt habe, gibt es von mir vier Sterne. Für drei hatte ich dann einfach zu viel Vergnügen an der Lektüre, trotz aller Schwächen.
Ein durchwachsener Roman, der sich nicht ganz entscheiden konnte, ob er Kitsch oder lieber doch Literatur werden wollte. Rosamunde Pilcher mit einer Prise Multikulti.
Autor: Hannah Lühmann

Zu wenig Substanz - 2 Sterne

Henriette fällt nach einer Abtreibung in eine Depression. Ihre patente Freundin Paula hat die gute Idee, mit ihr gemeinsam eine Woche in einer Hütte zu verbringen. Eine Auszeit, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Das scheint zwischendurch auch gut zu klappen. Henriette schreibt sogar an ihrer Dissertation, die eine Kulturgeschichte der Werwölfe zum Thema hat (irgendwann ist das der spannendste Part im Roman!). Doch schnell wird klar, Henriettes Probleme kommen nicht nur von der Abtreibung. Sie war schon immer so, konnte sich nicht begeistern, konnte sich nicht entscheiden, hatte keine Energie. Die depressive Stimmung beherrscht sie ihr ganzes Leben, professionelle Hilfe hat sie sich nie gesucht. Kurz dachte sie, ein Kind könnte die Rettung sein und treibt dann trotzdem ab. Sie kreist nur um sich, sieht ihre Freundin Paula nicht. Das wird mit den Seiten immer mühsamer, irgendwann nervt es nur noch.
Das Ende kann ich hier nicht verraten, aber ja, Henriette ist eine heillose Egoistin und das, was sie dann aus ihrer Lethargie reißt ist völlig unrealistisch.
Sprachlich fand ich den Erzählton nicht schlecht, aber der Roman hat einfach insgesamt zu wenig Substanz als dass ihn das retten könnte. Selbst für die wenigen Seiten reicht die Geschichte einfach nicht aus.
Ein Roman, der nicht schlecht beginnt, aber immer mehr stecken bleibt. Muss man definitiv nicht lesen!
Autor: Daniela Krien

Szenen einer Ehe - 5 Sterne

Daniela Krien hat mich schon 2019 mit ihrem Roman „Die Liebe im Ernstfall“ begeistert. Sie versteht es, Geschichten zu erzählen, sie besitzt unglaublich viel Einfühlungsvermögen, ihre Charaktere besitzen Tiefgang und haben Ecken und Kanten. Sie zeichnet sie facettenreich, ohne zu urteilen und mit viel Ehrlichkeit. Darauf war ich auch in ihrem neuen Roman gespannt.
Erzählt wird die Geschichte eines Ehepaares, Rahel und Peter. Sie sind seit vielen Jahren verheiratet, haben zwei erwachsene Kinder, die Tochter früh Mutter geworden, leidenschaftlich und etwas verpeilt, der Sohn auf dem Weg, Berufssoldat zu werden. Rahel ist Therapeutin, Peter Professor für Literaturwissenschaft an der Uni. Für den Sommerurlaub haben sie eine schöne Hütte gebucht, doch kurz vor dem Urlaub erfahren sie, dass genau ihre Hütte abgebrannt ist. In Zeiten der Pandemie ist es unmöglich etwas Vergleichbares noch kurzfristig zu finden. Da meldet sich Ruth, eine alte Freundin der verstorbenen Mutter Rahels, die jemand sucht, der sich um Haus und Tiere kümmert, während sie ihrem Mann, der einen Schlaganfall hatte, zur Reha begleitet. Rahel sagt zu. Drei Wochen verbringen sie in Ruths Haus. Drei Wochen, in denen wir ihre Beziehung näher kennen lernen, ihre Schwächen, aber auch ihre Stärken. Die Kinder kommen zu Besuch, Fragen tauchen auf, Rahel und Peter, die sich in letzter Zeit voneinander entfernt hatten, nähern sich vorsichtig an.
Das alles wird unglaublich ehrlich und zugleich schön erzählt. Es sind Menschen, die nicht immer perfekt sind, es ist eine Ehe, die lange gehalten hat, die Höhen und Tiefen hat und deren große Stärke wohl ist, ehrlich zueinander zu sein, auch in weniger guten Zeiten, den Kontakt zu suchen und das Gespräch und wo immer es möglich ist, den:die Partner:in so sein zu lassen, wie er:sie ist.
Der Roman war sehr schön zu lesen, unaufgeregt und doch in keiner Sekunde langweilig. Und er hatte etwas Entlastendes, in so mancher Schwäche konnte ich mich wiederfinden, aber auch darin, wie es den beiden gelingt, eine lange Beziehung lebendig zu halten.
Ein Buch, das sowohl sprachlich, als auch von der Struktur und der Figurenzeichnung her überzeugt. Für mich ein Lieblingsbuch 2021!
Autor: Barbara Kunrath

Gute Unterhaltung mit Tiefgang - 5 Sterne

Im Klappentext wird eine Geschichte beschrieben, in der zwei sehr unterschiedliche Frauen zufällig aufeinander treffen und sich anfreunden und gegenseitig zusammen das finden, was sie bei anderen nicht bekommen können. Das Cover ist sehr schön, aber auch leicht kitschig. Ich mag Romane, in denen Frauen die Hauptrolle spielen, doch hier war ich mir nicht ganz sicher, ob die Geschichte nicht zu trivial sein würde.
Zum Glück war sie das überhaupt nicht. Sehr vielschichtig, ohne die Ecken und Kanten auszulassen und ihre Charaktere besser dastehen zu lassen als sie sind, erzählt Barbara Kunrath hier die Geschichte der Freundschaft zwischen Josie und Kati.
Josefine, genannt Josie ist seit neun Jahren mit einem verheirateten Mann zusammen. Wobei zusammen völlig übertrieben ist, er kommt einmal in der Woche am Abend zu ihr, sie haben Sex, keine Ausflüge, wenige Male zusammen essen gehen,… Warum eine Frau wie Josie sich das antut, ist schwer zu verstehen. Sie sagt, es ist Liebe, wahrscheinlich bleibt der kleine Funke Hoffnung, dass er sich von seiner Frau trennt, doch noch immer aufrecht. Nun ist sie schwanger. Das Kind zu bekommen keine Option, oder vielleicht doch?
Katharina, genannt Kati hat ihren Mann verloren. Sie ist plötzlich alleine. Ihren Sohn Max liebt sie über alles, aber irgendwie fällt es ihnen schwer, das auch zu zeigen. Beim Ausräumen der Sachen ihres Mannes entdeckt sie auch, dass sie nicht alles über ihn wusste. Und der Laden, den sie vor vielen Jahren aufgeben musste, auch auf Druck ihres Mannes, lässt sie nicht mehr los. Sollte sie es nochmal versuchen?
Wie die beiden sich kennenlernen? Ganz zufällig! Josie findet den Ehering von Katis Mann am Friedhof und bringt ihn ihr vorbei. Am Anfang wirkt Kati etwas schroff, aber schön langsam freunden sich die beiden Frauen an, sie mögen sich irgendwie und Kati fasst Vertrauen zu Josie und gibt Josie etwas, was deren Mutter nicht zu geben vermag. Für beide ist es eine Zeit der Veränderung, sie tun sich gut und begleiten sich gegenseitig.
Das alles wird sehr einfühlsam erzählt. Die Charaktere sind grantig, bedürftig, stur, treffen nicht immer die richtigen Entscheidungen. Aber sie versuchen alle, ein gutes Leben zu führen, ihr Glück zu finden. Die Autorin bewertet nicht, sie erzählt einfach. Eine Geschichte, die so oder so ähnlich tatsächlich stattfinden könnte. Ich habe sie sehr gerne gelesen, sie ist unterhaltsam, alles andere als trivial und herzerwärmend.
Große Weltliteratur ist es nicht, aber gute Unterhaltung mit Tiefgang!
Autor: Janina Hecht

Ein überzeugendes Debüt - 5 Sterne

Janina Hecht ist mit diesem Roman ein überzeugendes Debüt gelungen. Erzählt wird die Geschichte Teresas, die auch die Ich-Erzählerin ist. Dabei wählt sie eine interessante Erzählform. In unterschiedlich langen (oft weniger als eine Seite) Episoden aus den Sommern ihrer Kindheit, Jugend und des Erwachsenwerdens, lernen wir sie und ihre Familie kennen. Das sind zum Teil schöne Momente, doch in den meisten geht es um die Schwierigkeiten mit dem Vater, der alkoholkrank ist und zur Gewalt neigt. Am Anfang kommt das nur subtil vor, doch wird es immer klarer. Das alles erzählt sie schlicht, nahezu emotionslos und dennoch kommen die starken Gefühle ganz klar durch. Sie verurteilt nicht, sie erzählt einfach. Vom ersten Aufbegehren gegen den Vater, von der Mutter, die es erst sehr spät schafft, den Vater zu verlassen, vom Zwiespalt der Gefühle für den Vater, davon, wie sich die Geschwister gegenseitig unterstützen und Halt geben, aber auch von Dingen, die normal sind beim Aufwachsen.
Das Konzept ist hervorragend gelungen, mich hat diese Geschichte berührt, und ich habe sie mit Spannung gelesen. Obwohl so fragmenthaft erzählt wird, fügen sich die Episoden zu einer ganzen Geschichte, die immer mehr Form annimmt. Ganz klar wird auch, dass die Beziehungen zu gewalttätigen Elternteilen schwierig sind, weil trotz allem eine ganz enge Verbundenheit herrscht und man auch die anderen Seiten kennt, es gibt auch schöne Erinnerungen, und es bleibt in solchen Beziehungen oft sehr lange ein Funke Hoffnung, dass sich etwas ändert (was es selten tut). Eine Stelle, die diese Hoffnung sehr gut beschreibt ist auch auf der Rückseite des Schutzumschlages abgedruckt:
„Mein Vater, wie er ganz ruhig den Tag beginnt, nicht ausgeglichen, aber stabil. Nie schrie er am Beginn des Tages, er ging mit vorsichtigen Schritten, manchmal etwas Weiches in seinem Gesicht. Als hätte sich erst danach etwas verändert, als führten erst der Mittag und der Nachmittag in eine andere Richtung, und an jedem Morgen hätte es die Möglichkeit zu einem anderen Verlauf der Geschichte gegeben, die ich schreibe.“
Ein Roman, der ungewöhnlich ist, der überrascht und der mich sprachlich, mit seiner Struktur und dem Thema überzeugt hat. Sehr lesenswert!