Rezensionen

Rezensionen von HEYN Leserunde Miriam Brandl

Autor: Jörg Hartmann

"Wir machen diesen Beruf, weil wir mit ihm aus unserer Haut können" - 4 Sterne

Jörg Hartmann, bekannt als depressiver Tatortkommissar Faber, erlaubt mit diesem Buch einen sehr persönlichen Blick in sein Leben. Man lernt den Menschen hinter dem Schauspieler kennen: bodenständiger Familienmensch mit ganz alltäglichen Sorgen, eher nachdenklich und absolut nicht arrogant oder abgehoben.
Er erzählt aus seinem Leben, zum Beispiel wie er Schauspieler wurde, aber auch viel von seiner Familie, seinen Eltern und Großeltern. Die Geschenke, die ihm das Leben gemacht hat sind ebenso Thema wie die zahlreichen Lektionen, die er lernen musste.

Dabei schafft er eine wirklich gut lesbare Mischung aus Schwerem und Leichtem, aus Nachdenklichem und Humorvollem. Die Sprache ist ruhig, trotzdem kraftvoll, der Ton höflich und respektvoll, aber konsequent ehrlich – Diplomat ist er keiner!
Man merkt, dass Sprache sein Metier und seine Leidenschaft ist. Er beherrscht die Kunst des Erzählens! Eigentlich ist dieses Buch eine feine, leise Liebeerklärung an seine Familie, seine Freunde und das Ruhrgebiet, wo er aufgewachsen ist.

Fazit: die berührende Biographie eines bekannten Schauspielers und sehr interessanten Menschen – lesenswert!
Autor: Meier, Simone

Roman - kein Sachbuch! - 3 Sterne

Lt Klappentext könnte es ein wirklich interessantes Buch sein – wie schaffte es Jo van Gogh-Bonger, die Bilder ihres Schwagers so weltbekannt zu machen? Wo er doch zu Lebzeiten auch in der Künstlergemeinde umstritten war?

Ein spannendes Thema, das Simone Meier leider nur sehr nebensächlich behandelt.
Hauptsächlich verzettelt sie sich in der Beschreibung der Recherche von Gina über Jo und endet in Phantasiegesprächen zwischen den Protagonistinnen.
Kann man mögen, muss man aber nicht.

Es ist ein Roman, kein Sachbuch. Trotzdem finde ich, dass die Autorin der sicherlich sehr interessanten, mutigen und selbstbewussten Jo van Gogh-Bonger nicht gerecht wurde.
Autor: Noll, Ingrid

Bon appétit! - 4 Sterne

Normalerweise lässt Ingrid Noll ihre Protagonisten eher zufällig, dafür aber skurril morden. Diesmal verzichtet sie aufs Morden, aber sie erzählt von den liebenswert schrägen Charakteren, die die Küche des vegetarischen Lokals „Aubergine“ bevölkern. Was für eine interessante und manchmal etwas spezielle Truppe! Sie lieben sich – mal mehr, mal weniger und in wechselnden Konstellationen. Es ist keine aufregende Geschichte, aber einige überraschende Wendungen treiben die Geschichte (eher geruhsam) voran und lassen nie Langeweile aufkommen.

Auch wenn sie diesmal nicht morden lässt, so bleibt Ingrid Noll ihrem guten Stil treu: locker, liebevoll, aber durchaus mit ihrem bekannt schwarzen Humor charakterisiert sie ihre Protagonisten, erzählt sie von ihren Stärken, ihren Schwächen und auch von den Sehnsüchten – es menschelt!

Gruß aus der Küche ist ein unterhaltsames, humorvolles und wirklich charmantes Buch, das angenehme Lesestunden garantiert.

PS. Irmas Kochkünste werden übrigens so ausgezeichnet beschrieben, dass ich wirklich Hunger bekam... ein paar Rezepte zwischendurch wären echt schön gewesen...
Autor: Katrin Unterreiner

Ein unangepasster Erzherzog - 5 Sterne

Erzherzog Ludwig Victor, der jüngste Bruder von Kaiser Franz Joseph, ist heute hauptsächlich durch pikante Skandale, Intrigen und Arroganz in Erinnerung. Aber wer war er wirklich?

Die Autorin, Kunsthistorikerin und Kuratorin zahlreicher Habsburg-Ausstellungen, zeichnet ein lebendiges und durchaus überraschendes Bild dieser ambivalenten Persönlichkeit.
Sie beschränkt sich nicht auf Jahreszahlen, sie beleuchtet vielmehr Hintergründe, stellt Zusammenhänge her, berücksichtigt Zeitgeschichte und erklärt den damaligen Zeitgeist von Etikette bis Doppelmoral.

Dieses Buch ist informativ wie ein Sachbuch und spannender als so mancher Krimi – ich bin begeistert!
Autor: Christine Wetzlinger-Grundnig

...intention is absolute... - 5 Sterne

Eine überaus sehenswerte Ausstellung im MMKK – überraschend und in ihrer Vielfältigkeit bezaubernd, poetisch und nachdenklich !
Dazu dieser Katalog, mit dem man Bilder und Installationen dieser interessanten Künstlerin immer wieder und wieder und wieder und vor allem immer wieder neu entdecken kann!
Einfach großartig!
Autor: Gaea Schoeters

Löwen sterben nie eines natürlichen Todes (229) - 4 Sterne

Ich gestehe: das Thema Jagd interessiert mich überhaupt nicht und Trophäenjagd finde ich gelinde gesagt pervers. Ohne Leserunde hätte ich also niemals dieses Buch gelesen.
Damit wäre mir allerdings ein seltsames Leseerlebnis entgangen!

Denn es ist ein durchaus erstaunliches Buch:
Einerseits ist es ein temporeicher Abenteuerroman, eine kraftvolle Erzählung mit enormer Sogwirkung. Andererseits werden in den Gesprächen und Gedanken der Protagonisten (Hunter White....nomen est omen) die völlige Überzeugung weißer Übermacht und aus der Zeit gefallene Moralvorstellungen formuliert, die immer wieder durch Scheinargumente gestützt werden.

Die Autorin schafft es, die Gedankenwelt des Protagonisten so darzustellen, dass ich sie zwar nicht gutheißen kann, aber trotzdem faszinierend finde. Tatsächlich: mindfuck, wie Dimitri Verhulst es geschrieben hat. Beim Lesen war ich gleichzeitig fasziniert und entsetzt, moralische Grenzen werden ausgelotet, überschritten und in Frage gestellt.
Diese literarische Reise nach Afrika ist auch eine spektakuläre Reise in menschliche Abgründe.
Gibt es sie tatsächlich? Diese Jagd auf „Big Six“?

Der Stil der Autorin hat mir sehr gut gefallen: sie erzählt wertfrei, bleibt neutral und spart nicht mit Gesellschaftskritik und sie versteht es, die Geschichte spannend und logisch zu erzählen. Am Ende der Geschichte zeigt sie auch noch großartigen, wenn auch ein wenig makaberen Humor.

Ein Buch, das fesselt und gleichzeitig fassungslos macht, definitiv kein Wohlfühlbuch.
Und gerade deshalb: lesenswert!
Autor: Auster, Paul

Phantomschmerz - 5 Sterne

Paul Auster erzählt in seinem Roman vom Überleben nach Verlusten. Nach Verlusten, die einen Riss in der persönlichen Zeitrechnung darstellen, die das ganze Leben in ein Davor und ein Danach teilen.

S. T. Baumgartner, 71jähriger Phänomenologe, hat vor 9 Jahren seine Frau verloren. Er hat redlich versucht, sein Leben neu zu orientieren, aber so ganz gelingt es nicht. Wie auch? Manche Verluste können nicht heilen, Erinnerung wird zu Phantomschmerz.
Es sind die zahlreichen gedanklichen Exkursionen in die Vergangenheit, die die Geschichte einer großen Liebe erzählen. In Gedankensprüngen und Erinnerungen werde Vergangenheit und Gegenwart ineinander verknüpft. Dazu kommen noch die literarischen Skizzen der Protagonisten, die dieses berührend ehrliche Bild vervollkommnen.
Ein Roman, in dem sich wieder zahlreiche Hinweise auf Austers Vorbilder finden lassen, aber auch viele Anspielungen auf sein eigenes Werk und sein eigenes Leben, sein Altern, seine Erkrankung.

Es mag schon sein, dass dieses Buch nicht sein bestes ist, aber dieser kurze Text überrascht und fesselt mit Tiefe und literarischer Souveränität. Es ist ein kleines, melancholisches Kunstwerk.
Auch wenn das offene Ende mich ein wenig unzufrieden zurücklässt, so ist mir doch klar, dass es kein anderes Ende geben konnte! Großartig – Paul Auster eben!

Lesenswert!

Autor: Zeruya Shalev

? - 5 Sterne

Vor knapp 30 Jahren veröffentlichte Zeruya Shalev diesen Roman in Israel. Er wurde von der Kritik gnadenlos verrissen. Sie war ganz eindeutig ihrer Zeit voraus. Mittlerweile gehört die Autorin zu den wichtigsten literarischen Stimmen Israels, hat zahlreiche Preise und Ehrungen erhalten und somit wurde ihr Debütroman jetzt auch ins Deutsche übertragen.

Es ist ein wirklich seltsames Buch: eine Art literarisches Kaleidoskop voller zusammenhangloser (Alb)traumbilder, zerfetzter Gedanken und Gefühle, voller überbordender Symbolik. Das Lesen ist ein ständiges Deuten und Interpretieren. Da verwandeln sich Kinder in Monster und dann wieder in Engel, der Exmann klaut die Gebärmutter und der Vater verwandelt sich in eine Kuckucksuhr. Es ist eine rasanter Monolog ohne chronologische oder logische Ordnung. Manchmal absurd, manchmal komisch, manchmal tragisch.
Die Wirklichkeit des Romans versteckt sich irgendwo zwischen all diesen bizarren Sequenzen.

Mittlerweile wird der Roman von der Kritik hochgejubelt - ich glaube trotzdem, dass er seiner Zeit nach wie vor weit voraus ist. Es ist ein Buch, das ich mit keinem anderen vergleichen kann.
Der Stil ist spannend, fesselnd, faszinierend – ich konnte es nicht aus der Hand legen. Leider bedeutet dies nicht, dass ich es auch nur ansatzweise verstanden hätte...
Genossen habe ich diese Verwirrung auf 208 Seiten trotzdem - es ist wirklich ein außergewöhnliches Buch.
Ich kann diesen Roman empfehlen, auch wenn ich niemanden kenne, dem ich es schenken würde. Dieses psychedelische Leseexperiment muss jeder selbständig wagen.

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Buchhändler!
;-)
Autor:

Ich weiß gar nichts von euch, wiederholt die Eva laut. Und ihr nichts von mir (S.210) - 4 Sterne

Anna Neata erzählt in ihrem Debütroman die Geschichten von Elli, Alexandra und Eva. Großmutter, Mutter und Tochter.
Ihre Schicksale ähneln einander: toxische Beziehungen, unerfüllte Lieben, ungewollte Schwangerschaften und vor allem die extreme und selbstverletzende Sprachlosigkeit der Frauen. Persönliches Glück wird dem „Irgendwie-weitermachen“ im Leben untergeordnet.

Die Autorin hat einen spannenden, vielschichtigen und (nicht nur psychologisch) interessanten Familienroman geliefert. Knapp 80 Jahre persönliche Schicksale eingebettet in österreichische Zeitgeschichte.

Allerdings: es ist kein Buch, das einfach so nebenher gelesen werden könnte. Das war mein Fehler und ich habe – trotz des hilfreichen Personalverzeichnisses zu Beginn - zwischendurch den Faden verloren in den zahlreichen Zeit- und Perspektivenwechsel.
Ich werde es noch einmal lesen, denn Elli, Alexandra und Eva verdienen meine ungeteilte Aufmerksamkeit!

Lesenswert!
Autor: Tonio Schachinger

"Es war die Hölle, du Idiot!" - 5 Sterne

Nein! Mit diesem Zitat ist nicht das Lesen des Buches gemeint!
Es ist vielmehr Till Kokordas Kurzzusammenfassung seiner Schulzeit.
Tonio Schachinger, der ja selbst ehemals Schüler einer Eliteschule war, neigt auch in der sicheren Distanz der Jahre nicht dazu, die Schulzeit zu glorifizieren.

Ganz im Gegenteil!
Er erzählt psychologisch schlüssig und mit einer eigenen Intensität von den zahllosen Problemen des Erwachsenwerdens: Pubertät, Schule, despotische Lehrer (Prof Dolinar lässt die eigenen – schon lange gut verdrängt geglaubten – Schultraumata wieder hervorkriechen), Psychoterror, Unsicherheit, erste Liebe, versnobte Umwelt, Freundschaften... und gegen Ende auch noch die Coronapandemie. Irgendwo zwischen Erziehungsanspruch seiner Mutter, dem Bildungsanspruch in einer Eliteschule findet Till seine Auszeiten. Er ist Gamer, gehört bei Age of Empires 2 sogar zu den Weltbesten. Gaming ist sein Fluchtweg.

Hier stellt Tonio Schachinger unheimlich geschickt die reale Schulwelt der digitalen Welt gegenüber (beides funktioniert in Echtzeit!) – er macht dies ironisch, humorvoll, aber nie wertend. Er stellt einfach fest, dass in beiden Welten bestimmte Regeln eingehalten werden müssen, wenn man heil weiter kommen will.

Das klingt alles sehr nach „Schulroman“, aber es ist doch einiges mehr: vor dem Hintergrund des politischen Zeitgeschehens wird immer wieder auch eine große Portion Kritik an Gesellschaft und arroganten Möchte-gern-Eliten geübt.

Und ganz wichtig: Schreiben kann Tonio Schachinger! Sein Stil ist sehr angenehm zu lesen. Er erzählt klug, extrem witzig, bissig, ohne zu übertreiben, temporeich und eindringlich. Er zeigt Einfühlungsvermögen und Respekt gegenüber seinen Protagonisten - nicht umsonst hat er 2023 den Deutschen Buchpreis erhalten.

Ein Vergnügen, dieses Buch zu lesen!