Rezensionen

Rezensionen von Miro

Autor: Scott Alexander Howard

Zeittäler - 5 Sterne

Odile lebt in einem Tal, umgeben von Bergen und von einem Zaun. Denn hinter den Bergen befindet sich auf der einen Seite das selbe Tal nur 20 Jahre früher und auf der anderen Seite 20 Jahre später. Die Grenze ist streng bewacht. Zu groß ist das Risiko, dass jemand in den Lauf der Zeit eingreift und so die Geschichte ändert.

Die Gesellschaftsstrukturen im Tal wirken repressiv und totalitär. Die Menschen folgen ihrer Bestimmung, scheinen nichts zu hinterfragen und fügen sich in ihre gesellschaftliche Stellung. Das Conseil ist die höchste Behörde und diese regelt die Grenzgänge. Denn manchmal wird einem Gesuch stattgegeben und jemand darf einen verstorbenen Angehörigen noch einmal beobachten oder ein zukünftiges Kind einmal sehen.

Diese Besuch werden anonymisiert durchgeführt, unter Bewachung und Einhaltung strengster Regeln. Eine kleine Abweichung veranlasst den sofortigen Abbruch, denn das Risiko, dass dadurch die Geschichte verändert wird ist zu hoch. Es droht die Auslöschung.

Odile ist eine schüchterne Außenseiterin in ihrer Schule. Sie wird kaum wahrgenommen und wenn doch, dann meistens gehänselt. Sie ist ein dankbares Opfer, denn sie wehrt sich nie. Doch eines Tages setzen sich zwei Jungs für sie ein, verteidigen sie und ändern dadurch alles. Odile beginnt zaghaft Freundschaft zu knüpfen, traut sich plötzlich etwas zu und strebt sogar einem hohen Posten entgegen, nur um dann doch wieder abzustürzen.

Doch der ganz große Absturz steht ihr erst noch bevor und Odile, die nie eine aktive Person war, versucht mit ihren Mitteln dieses Schicksal abzuwenden. Sie versucht kleine Entscheidungen anders zu treffen, fühlt sich bereits in Sicherheit und landet schlussendlich doch wieder dort, wo sie sich im Zukunftstal gesehen hatte.

Es scheint fast so, als würde die Zeit kleine Aufmüpfigkeiten einfach ausbügeln, als wären die Menschen ihrem Schicksal hoffnungslos ergeben, egal was sie machen oder zu entscheiden glauben. Vielleicht war das Eingreifen der Jungs auf dem Schulhof bereits ein Versuch, eine Zukunft abzuwenden, vielleicht war das Eingreifen aber auch erst der Auslöser für die große Tragödie? An diesen Fragen kann man sich tatsächlich das Hirn verrenken. Die Zeit wird zu einer Schleife, oder Spirale oder sonstwas. Man darf hier wirklich nicht alles logisch hinterfragen und sollte versuchen sich einfach dem sog der Geschichte hinzugeben. Denn einen Sog hat sie allemal. Ich habe mitgelitten mit Odile, die strampelnd versucht ihrer Abwärtsspirale zu entkommen. Sie muss wirklich ziemlich viel erleiden, bis sie endlich den Mut für den ganz großen Coup findet und ob der gelingt und was dann aus allem wird, wird hier natürlich nicht verraten.

Ich fand die Entwicklung Odiles sehr interessant und ich mochte dieses stille Mädchen auch, obwohl ich ihr manchmal am liebsten in den Hintern getreten hätte, damit sie in die Gänge kommt. Es braucht schon einen mächtigen Schubser, damit diese treibende Person für sich selbst einsteht.

Manche sehen in diesem Buch einen dystopischen Coming-of-Age Roman, aber das kann ich nicht unterschreiben. Das Buch thematisiert nicht das Erwachsenwerden von Odile, sondern zeichnet ein Konstrukt von Möglichkeiten und Folgen. Es ist ein Gedankenexperiment das einen stundenlang beschäftigen kann. Definitiv ein Buch das nachhallt!
Autor: Emily Rudolf

Retreat mit Aussicht - 4 Sterne

Mit diesem versteckten Luxus-Retreat in den Bergen hat sich Pierre Karthee einen Traum erfüllt. Oder besser gesagt, den Traum seines Vaters, denn auch dieser wollte immer erfolgreich ein Hotel führen. Jetzt hängt er einsam an der Flasche und schafft nicht einmal mehr seine Einkäufe selbst.

Doch Pierre ist nicht sein Vater und hat alle Eventualitäten im Griff. Nichts wird schief gehen, wenn die große Victoria Kaplan mit ihren Freunden für ein Wochenende kommt, um die 1 Million Follower zu feiern. Dieser Besuch wird die Feuerprobe des Retreats. Gefällt es ihr, gibt das großartige Publicity, wenn nicht, ist alles aus, bevor es richtig begonnen hat.

Und obwohl Pierre und sein Team sich mächtig ins Zeug legen, dass alles so läuft wie es soll, scheint doch irgendwie alles schief zu gehen. Erst verspätet sich die Gruppe, wegen eines verpassten Flugs und bringt dann eine eigenartig unangenehme Stimmung mit. Die Dynamik in der Gruppe ist nicht von freundschaftlicher Liebe geprägt. Vielleicht war sie das früher mal, aber jetzt scheint etwas anderes vorzuherrschen, dem mit Yoga und Meditation nicht beizukommen ist. Es beginnt eine Abwärtsspirale, die während des Unwetters in der zweiten Nacht mit dem Mord ihren Peak erreicht.

Daher sind die Kapitel auch als Countdown übertitelt und wir starten 37 Stunden vor der Tat und die Autorin lässt die einzelnen Mitglieder der Gruppe, sowie den Hotelchef zu Wort kommen. Außerdem sind zwischendrin Jetzt-Kapitel eingeschoben, die nach dem Mord spielen und uns ganz schön lange rätseln lassen, wer denn nun tot ist. Das hat die Autorin sehr spannend hinbekommen.

Auch das Spiel mit den wechselnden Tatverdächtigen klappt gut. Irgendwie scheinen auf einmal alle ein Motiv zu haben und jede Person sich der Tat verdächtig zu machen. Der Aufbau des Buches ist wirklich gut gelungen. Die wechselnden Perspektiven, die zwei Zeitebenen und die Einschübe der Instagram-Beiträge lockern auf und sorgen für wachsende Spannung.

Das Setting ist ebenfalls toll. Ein Retreat in den Bergen, umgeben von Wald, völlig in der Einöde, weit und breit keine Nachbarn die etwas mitkriegen könnten - geruhsam und gleichzeitig gruselig. Je nach dem, wie es gerade beschrieben wird. Die Grenze ist da wackelig, was am Tage heimelig wirkt, kann bei Nacht leicht verstören.

Was mir nicht gefallen hat, war die Dynamik unter den Pseudofreunden, die Oberflächlichkeit ihrer Gespräche und die Unfähigkeit sich mal fallen zu lassen und zu genießen. Ich weiß ja, warum diese Sein & Schein Welt nichts für mich ist!

So schwanke ich in meiner Bewertung zwischen 3 und 4 Sternen und runde deshalb einfach auf, denn gut unterhalten hat mich das Buch allemal.
Autor: Laestadius, Ann-Helén

Nomadenschule - 5 Sterne

Jon-Ante, Else-Maj, Anne-Risten, Marge und viele andere samische Kinder mussten schon mit sieben Jahren ihr Elternhaus verlassen. Sie wurden ins Internat der Nomadenschule gezwungen, wo sie nicht mehr samisch reden durften und schwedische Namen verpasst bekamen. Und wo Hausmutter ein überstrenges Regiment geführt hat. Schläge gehörten zur Tagesordnung genauso wie seelische Gewalt. Einziger Lichtblick für die Kinder war bei Betreuerin Anna, die tröstende Worte und Umarmungen in aller Heimlichkeit für sie hatte.

Ann-Helén Laestadius hat eine traurige Beziehung zu diesem Roman, denn auch ihre Mutter musste diese Schule besuchen. Nach ihren Erlebnissen ist dieser Roman entstanden.

Die Autorin erzählt diese Geschichte aus der Sicht der verschiedenen Kinder und lässt uns gleichzeitig teilhaben, an ihrem Erwachsenenleben. Wir lesen parallel von ihren Traumata in der Schule und wie diese ihren Alltag später beeinflussten. Wir lesen vom Versuch, das Erlebte zu Verdrängen, im Alkohol zu ertränken oder mit Schmerztabletten zu betäuben. Nur reden wollen sie alle nicht darüber, dann das würde die Dinge zu sehr aufrühren.

Manche der Kinder tragen ein lebenslanges Zeichen mit sich. Die Narben am Körper verschwinden nicht und erinnern für immer an die Gewalt. Dennoch schaffen es die meisten ein gutes Leben zu führen, ihren Kindern gute Eltern zu sein und zu lieben, auch wenn manche von ihnen länger dafür brauchen.

Beim Begräbnis von Anna kommen sie alle wieder zusammen und erste Mauern beginnen zu bröckeln. Die erwachsenen Schüler und Schülerinnen der Nomadenschule beginnen in Worte zu fassen, was ihre Leben so lange beschwert hat. Somit ist das Buch auch eine Ode an die Resilienz!

Ich fand dieses Buch hervorragend erzählt. Die wechselnden Perspektiven halten die Geschichte abwechslungsreich und spannend und es hat mich beeindruckt, wie viel manche Menschen tragen können. Über das traurige Schicksal der samischen Bevölkerung habe ich schon öfter gelesen und immer wieder macht es mich traurig, wie viel dieses beeindruckende Volk zu erleiden hatte. Leider begegnen sie wohl noch immer Rassismus und Ablehnung, dabei sollten wir von den Traditionen dieses naturverbundenen Volkes lernen.

Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung für dieses Buch, dass auch irgendwie die Geschichte der Mutter der Autorin erzählt und die bestimmt viel Mut brauchte, um ihre Tochter in ihre Erlebnisse einzuweihen!
Autor: Kristin Höller

Deutschlandpark - 3 Sterne

Marlene hat endlich ihr Studium beendet und weiß nicht wirklich wohin mit sich. Um sich abzulenken und Geld zu verdienen bewirbt sie sich für einen Job auf der Insel Strand. Fast die ganze Insel ist ein einziger Freizeitpark mit geschichtsträchtigem Handwerk und Läden aus längst vergangenen Zeiten. Für die Mitarbeiter*innen gilt die Kostümgrenze. Auch an freien Tagen dürfen sie das Dorf nicht in Jeans durchqueren, denn die Rolle muss für die Tourist*innen aufrecht gehalten werden.

Die Ankunft Marlenes auf der Insel und ihre Begegnungen mit lauter neuen Leuten fand ich interessant zu lesen. Es war auch schön, die aufkeimende Liebe zu Janne zu begleiten und tiefer in die Geschichte der Insel einzutauchen. Nur das angekündigte Geheimnis lässt ziemlich lange auf sich warten. Erst wenn man es kennt, erkennt man auch die Andeutungen, die sich wohl durch die Geschichte ziehen. Leider bauen diese kleinen Hinweise nicht wirklich Spannung auf und man muss sich fast bis zuletzt gedulden, um dem Ganzen auf die Spur zu kommen. Dann weiß man auch, was mit den "Leuten von früher" wirklich gemeint ist.

Mich hat das Buch ganz gut unterhalten. Die Geschichte plätschert unaufgeregt dahin, ist mal mehr und mal weniger interessant, aber immer nett zu lesen. Stilistisch ist es recht einfach gehalten und es bietet insgesamt keinen großen Mehrwert. Es ist ein Buch, dass man lesen kann, aber definitiv nicht muss. Als Sommer- oder Strandlektüre unterhält es auf jeden Fall!
Autor: Martina Bogdahn

Heimkommen - 5 Sterne

Maria muss ihren Urlaub abbrechen, denn die Mutter ruft um Hilfe. Der Vater ist im Wald verunfallt und man weiß noch nichts Genaueres. Der Bruder und die Schwägerin sind nicht erreichbar und die Tiere müssen versorgt werden.

Kurzhand lässt Maria ihre Töchter bei Freunden und eilt in ihr Heimatdorf, um auf dem Bauernhof nach dem Rechten zu sehen. Die demente Oma muss beschäftigt werden und die Schweine versorgt. Um die Kühe hat sich die Mutter noch gekümmert. Maria ist mit der Arbeit aufgewachsen und so geht ihr alles noch leicht von der Hand, obwohl sie nie, wirklich nie Bäuerin werden wollte.

Aus dem Wochenende im Elternhaus werden Wochen und Maria beginnt sich zu erinnern. Sie erzählt von ihrer Kindheit, der engen Beziehung zu ihrem Bruder, die irgendwann auf der Strecke geblieben ist und wie es war, ständig arbeiten zu müssen, während andere auf Urlaub fuhren, oder ihre Ferien im Freibad verbrachten.

Für mich war es eine große Freude, dieses Buch zu lesen, denn ich bin ebenfalls auf einem mittelständischen Bauernhof aufgewachsen. Auch wir mussten mit anpacken und ich habe mir oft gewünscht, nach der Schule einfach mal sofort die Hausübung machen zu können und auch ich wollte mehr Zeit im Freibad verbringen. Aber die Kühe melken sich nicht von selbst und der Vater war im Sommer immer auf den Feldern unterwegs.

Doch Maria erzählt uns nicht nur von den Widrigkeiten des bäuerlichen Lebens. Sie erzählt uns auch von der Freiheit im Spiel der Kinder, die auch wir genossen haben. Und sie erzählt von dem arbeitsreichen, aber naturverbunden Leben der Eltern, die immer fleissig ihre eigenen Bedürfnisse hintangestellt haben. Was Martina Bogdan über Marias Vater schreibt, wirkt auf mich, als hätte sie meinen Vater beschrieben.

Einzig den Erbstreit mit dem Bruder konnte ich nicht ganz nachvollziehen, denn Maria wollte den Hof nicht führen. Somit hat mir die Versöhnung und die Möglichkeit einer Zukunft am Ende sehr gut gefallen.

Insgesamt war das Buch eine berührende Leseerfahrung für mich und ich wünsche dem Buch viele Leser*innen. Ich empfehle es den Landkindern, weil sie sich wiederfinden und den Stadtkinder, weil es ihnen die Illusionen nimmt und aufzeigt, wie schwierig das Leben am Land ist und wie wertvoll unsere Lebensmittel sind!
Autor: Gaea Schoeters

Jäger, jagen, Gejagte - 5 Sterne

Aufgrund des Klappentextes habe ich eine Weile überlegt, ob ich mich an dieses Buch wegen möchte und ich kann sagen, ich bereue es nicht. Dieses Buch ist definitiv ein Highlight in diesem Lesejahr. Es ist ein schriftstellerisches Meisterwerk!

Gaea Schoeters entführt uns nach Afrika an die Seite von Hunter White - Spekulant, Immobilienmagnat und Hobbyjäger. Endlich kann er sich seinen Traum erfüllen und die Big Five vollmachen. Er hat eine Lizenz erstanden und kann ein Spitzmaulnashorn schießen. Die Trophäe will er seiner Frau zum Hochzeitstag überreichen.

Doch alles kommt anders als gewünscht. Wilderer schnappen ihm sein Tier vor der Nase weg und die Erregung der begonnenen Jagd lässt einen schalen, unbefriedigten Beigeschmack zurück. Überraschend bietet ihm sein Freund und Jagdveranstalter Van Heeren eine ganz spezielle Trophäe an. Er stellt ihm die Big Six vor.

Sehr geschickt geht die Autorin an dieses Dilemma heran. Van Heeren und Hunter sind knallharte Geschäftsleute. Sie sind skrupellos und äußerst manipulativ. In ihren Argumenten spielt die Autorin so gekonnt mit den Facetten der Wahrheit, dass man als Leser*in fast bereit ist, sämtliche Werte über Bord zu werfen. Ich fühlte mich beinahe manipuliert bei der Lektüre und kann mir gut vorstellen, wie eine Diskussion mit Hunter verlaufen würde. Er schafft es wirklich alles schön zu reden; wohl auch ein bisschen für sein Gewissen. Er ist sich ja sicher, einer von den Guten zu sein.

So verliert sich Hunter in einer Jagd, bei der er eigentlich nicht gewinnen kann. Heimgesucht wird er dabei von Erinnerungen an seinen Großvater, der ihn schon früh in die Jagd und deren Grausamkeiten eingeführt hat. So erfahren wir, wie aus Hunter der Mann wurde, der schließlich in Afrika jagt.

Beeindruckend fand ich auch, dass mir dieser Jäger nicht von Grund auf unsympathisch war. Er hat durchaus brauchbare Ansichten, zeigt Respekt vor der Natur und der Tierwelt und weiß zu schätzen, was ihm da geschenkt wird bzw. was er nehmen darf. Doch schlußendlich nützt ihm das alles nichts. Er überschreitet eine Grenze, die er besser nicht überschritten hätte. Doch diese Erkenntnis kommt zu spät.

Dieser Roman ist eine schriftstellerische Meisterleistung. Ich habe noch nie ein Buch gelesen, das so geschickt mit den Grauschattierungen von Gut und Böse spielt, so gekonnte die Wahrheit verdreht und unsere koloniale Denkweise so behände in die Irre führt. Großer Applaus von meiner Seite! Ich empfehle, sich den Abgründen dieses Romans unbedingt zu stellen!
Autor: Everett, Percival

Die Abenteuer des ehemaligen Sklaven Jim - 5 Sterne

Percival Everett wagt sich mutig an den Stoff von Huckleberry Finn. Doch diese Geschichte erzählt uns der Sklave Jim, der vor dem Verkauf flieht, um später seine Familie freizukaufen.

Jim ist ein schlauer Bursche und so lernen wir mit ihm die Sklavensprache kennen, denn die Weißen müssen sich unbedingt überlegen fühlen. Sie dürfen nicht wissen, dass die Sklaven einwandfreies Englisch sprechen. Da wollen sie sich lieber ein bisschen bemühen, das Genuschel zu verstehen, dass den Ohren der Weißen vorbehalten ist.

Jim kann außerdem lesen und schreiben, was auf keinen Fall jemand merken darf. Damit würde er sein Leben riskieren.

Auf seiner Flucht begleitet ihn der junge Huck, der ebenfalls geflohen ist. Er hat seinen Tod vorgetäuscht, um seinem gewalttätigen Vater zu entkommen. Das bringt den geflohenen Jim nur noch mehr in Gefahr, denn wer könnte verdächtiger sein, als ein entflohener Sklave.

Während bei Mark Twain die Reise auf dem Mississippi ein einziges großes Abenteuer ist, ist sie hier geprägt von Todesangst, Verstecken und Flucht. Mal spielt ihnen das Schicksal in die Hände, mal legt es ihnen Steine in den Weg.

Heftig fand ich, mit welcher Selbstverständlichkeit Weiße Besitzansprüche an einen Schwarzen stellen, der nur mit einem Jungen unterwegs ist. Und ebenfalls, wie selbstverständlich alle Weißen davon ausgehen, dass die Schwarzen dumm, schmutzig und nicht wertvoller als Vieh sind. Die Schrecken der Sklaverei werden hier eindringlich dargestellt und hallen lange nach. Vor allem die Zuchtfarm am Ende, gab mir schwer zu denken. Die Grausamkeit der Aufseher und Besitzer ist wirklich schwer zu ertragen und leider gibt es immer noch viele Menschen, die sich erhabener fühlen, weil ihre Haut heller ist, als die anderer Leute.

Mutig hat sich der Autor an diesen klassischen Stoff gewagt und hat einen modernen historischen Roman daraus gemacht. Es ist gleichsam ein Entwicklungsroman, denn aus dem Sklaven Jim, der immer schon etwas schlauer war, wird ein selbstbestimmter zorniger Mann namens James, der sich nicht mehr unterjochen lässt und von nun an seinen Weg beschreitet. Mir hat das Buch hervorragend gefallen und somit gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung!
Autor: Maggie Millner

"Liebe ist echt alles" - 3 Sterne

"Ich möchte deshalb in Gedichtform erklären,

dass die Liebe für mich einer der primären

Antriebe zur Selbsterkenntnis war. Sie ist immer noch das,

was den ganzen Rest erträglich macht." (S. 110)



Alle paar Jahre mal versuche ich einen Ausflug in die Lyrik, um wiederholt zu erkennen, dass ich mich nicht optimal darauf einlassen kann. Da ich mir dessen bewusst bin, gebe ich nur ungern eine Bewertung ab.

Hier finden wir eine Analyse des Liebeslebens einer jungen Frau, die ihren Mann für eine andere Frau verlassen hat. Sie hatte sich wohl etwas eingeengt gefühlt in ihrer ersten Beziehung, doch die totale Freiheit macht sie erst recht nicht glücklich. Sie erkennt, dass sie nicht polyamourös leben kann und hofft auf Exklusivität. In ihrem Leiden beginnt sie ihrer vorherigen Beziehung nachzutrauern. Ganz normales Verhalten also, hat wohl fast jede*r von uns schon gemacht.

Es folgt eine Phase der Harmonie, vor allem um Weihnachten, doch bereits zu Silvester erkennt sie, dass diese Beziehung das neue Jahr nicht überstehen wird.

Irgendwie ist alles ziemlich tragisch hier. Die Protagonistin leidet, reflektiert und leidet weiter. Doch am Ende hat sie sich selbst besser kennengelernt und schafft es, gestärkt aus dem Drama hervorzutreten. Ein Heldenepos also?

Sprachlich konnte mich dieses Epos absolut begeistern und auch der Übersetzerin Eva Bonné ist mit Hochachtung zu begegnen. Das war bestimmt eine schwere Geburt!

Dennoch fand ich es streckenweise anstrengend zu lesen. Inhaltlich bleibt vieles nur angedeutet, die Lücken animieren zur Imagination, was aber gut transportiert wird sind Emotionen. Das ist wohl der Erzählform geschuldet. Die Lyrik ist wohl eher die Sprache des Herzens. Als Prosaleserin bin ich es gewohnt, den Fokus auf den Handlungsverlauf zu legen. Das scheint mir hier verkehrt. Vielleicht sollte man den Text eher wie ein Bild betrachten und die einzelnen Gefühle zu einem stimmigen Bild der Person wachsen lassen.

"Paare" ist definitiv gut geschrieben, aber so richtig gut gefallen hat es mir nicht. Ich werde wohl wieder eine paar Jahre verstreichen lassen, bevor ich mich ein weiteres Mal in die Welt der Lyrik begebe.
Autor: Isabelle Autissier

Der Untergang Venedigs - 4 Sterne

Guido Malegatti hat das Hochwasser überlebt, dass Venedig zum Einsturz brachte. Aber schlauer hat ihn das nicht gemacht, denn er denkt sofort nach seiner Trauerrunde darüber nach, wie sich aus den Ruinen Profit ziehen lassen könnte.

Seine Frau Maria Alba, Sprössling einer großen Familie und Nachfahrin von Dogen hat es nicht so gut getroffen. Über ihr ist das Haus eingestürzt . Sie war ein echtes Kind der Serenissima, der Stadt mit ihrer erhabenen Geschichte und divenhaften Schönheit verfallen. Sie hätte den Verlust ihrer Heimat sowieso nicht verkraftet.

Und deren Tochter Léa ist vermisst.

Zwei Jahre zuvor beginnen die Probleme Venedigs bereits die Familie zu spalten. Guido, der Wirtschaftsstadtrat, ist ein Emporkömmling und ausnahmslos an Wohlstand und Profit interessiert. Er hat schnell gelernt zu intrigieren, wenn es um die Erreichung seiner Ziele geht. Nur seine Tochter weiß er nicht zu bändigen. Als Umweltschützerin sind ihr die Folgen von Klimawandel und Massentourismus für Venedig bekannt und sie kämpft dagegen. Wenn es sein muss auch mit harten Bandagen.

Isabelle Autissier hat mit der Familie Malegatti ein Abbild der Gesellschaft Venedigs geschaffen. Maria Alba steht für Geschichte und Erhalt, Guido für die wirtschaftlichen Interessen und Léa für die Umwelt. So beginnt der Konflikt in der Familie und wird erst in die Welt getragen, als Léa ihren Vaterfeind und ihre untätige Mutter verlässt.

Dass die Ozeanriesen die Grundfesten Venedigs angreifen, ist mittlerweile wohl allen bekannt. Doch dass auch das Sperrwerk M.O.S.E. für die Lagune nicht unproblematisch ist, habe ich durch diesen Roman gelernt. Venedig ist ein fragiles Konstrukt und ich fand es spannend zu erfahren, wie Léa das Ausmaß der Bedrohung klar wird und sie beginnt ihr Leben der Stadt zu verschreiben. Ihre Ideen und Aktionen werden immer wagemutiger und mit Unbehagen folgen wir ihr in die Radikalisierung.

Ich habe diesen Roman mit großem Interesse gelesen und bin begeistert, wie spannend der Konflikt um Venedig oder Veniceland, wie es hier augenzwinkernd auch heißt, aufbereitet wird. Die Zerrissenheit zwischen den wirtschaftlichen Interessen des Massentourismus und dem Erhalt der Schönheit und Erhabenheit der Serenissima lässt mich wieder einmal aufhorchen und stimmt mich traurig, ob der Untätigkeit unserer Machthaber.

Acqua Alta ist ein Roman, der Aufmerksam macht, berührt und den Finger in eine bekannte Wunde legt!
Autor: Tríona Walsh

Von der Außenwelt abgetrennt - 4 Sterne

Cara freut sich sehr, endlich alle ihre Jugendfreunde wiederzusehen. Zehn Jahre ist es her, dass drei von ihnen, die Insel verlassen haben, nach dem ein schreckliches Unglück über sie hereingebrochen ist. Nach Cillians Tod sind nur Maura und Daithi mit Cara auf der Insel geblieben.

Aus Seamus ist inzwischen ein halbwegs berühmter Drehbuchautor in Hollywood geworden und Ferdy und Sorcha leben relativ erfolgreich in London. Obwohl eigentlich niemand genau sagen kann, womit Ferdy sein Geld verdient. Irgendwas mit Gigs und Bands oder so.

Der Abend startet vielversprechend. Es wird getrunken und gelacht und an früher gedacht. Nur Maura taucht nicht auf. Erst wundert sich niemand, denn sie war immer schon chaotisch, doch dann treibt eine Leiche in einem natürlichen Becken im Meer und Cara, die Inselpolizistin wird verständigt.

Der Schneesturm tobt mittlerweile mit voller Kraft und so ist die irische Insel vom Festland völlig abgeschnitten. Keine Fähre und kein Hubschrauber kann Inishmore erreichen. Cara ist auf sich gestellt und versucht zu ermitteln, denn ihr ist klar, dass auch der Mörder die Insel nicht verlassen kann. Schnell ist zu erkennen, dass Cara keine Professionalistin ist. Als "Streifenpolizistin" auf einer Insel, wo jeder jeden kennt, hat sie es eher mit Lausbubenstreichen zu tun, denn mit Kapitalverbrechen. Sie versucht ihr Bestes und folgt den Brotkrumen, die für sie hinterlassen wurden. Sie stolpert durch ihren ganz persönlichen Albtraum. Sie hat ihre beste Freundin verloren, wird ebenfalls verfolgt und kann ihren Freunden nicht mehr trauen. Schritt für Schritt nähert sich sich einer Wahrheit, die für sie schwer zu verkraften ist.

Mir hat das Setting und der Plot dieser Geschichte ausgezeichnet gefallen. Mir gefällt die Idee des Treffens nach zehn Jahren und der Feststellung, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist. Die Freunde sind nicht mehr die Menschen, die sie damals waren und es ist nicht sicher, dass man auch diese Menschen mag. Der Schneesturm hätte vielleicht ein bisschen mehr ins Licht gerückt werden können. Die Wetterkapriolen beeinflussen das Leben auf der Insel eigentlich nur insofern, dass niemand kommen und gehen kann. So wird das ganz zu einem gelungenem Kammerspiel, wo niemand mehr weiß, wem er trauen kann und sich alle irgendwie anfeinden oder nervös beäugen.

Nur den großen Showdown hätte ich nicht gebraucht. Die Auflösung war spannend, manches konnte man erahnen, manches war wirklich überraschend und ich fühlte mich bei der Lektüre durchwegs gut unterhalten. Ich fand die laienhaften Ermittlungen von Cara erfrischend sympathisch und schlußendlich hat sie ihr Ziel erreicht. Ein professioneller Ermittler hätte mir hier im gälischen Inishmore gar nicht so gut gefallen.

Guten Gewissens empfehle ich dieses Buch allen, die nur hin und wieder einen Krimi lesen. Wer einen echten Kommissar erwartet, sollte vielleicht besser zu einer Reihe greifen.