Rezensionen

Rezensionen von HEYN Leserunde Renate Pfeiffer

Autor: Johannes Wally

Zwischenfälle - 4 Sterne

Einen vielschichtigen Roman über Liebschaften, Freundschaften, Feindschaften, über mögliche Schuld und Vergebung verspricht mir der Verlagstext, ich finde darin auch noch Verklemmung, Verehrung, Hass und die Befreiung davon, Gott und die Welt und was sonst noch zum Leben gehört.
Es sind Episoden aus dem Leben von Wildner, Götz und Guido, Laura und Sophie und Lützel….zum Glück beginnt Johannes Wally sein Buch mit einem Personenregister, sonst verliert man leicht den Überblick.
Zwischenfälle in der Jugend führen zu Zwischenfällen im späteren Leben, scheinbar ohne Schwerkraft ziehen die die Menschen aneinander vorbei, treffen aufeinander und ziehen wieder weiter. Später treffen sie einander vielleicht wieder.
Auch ich bin so durch das Buch gezogen, es war nicht uninteressant, gut geschrieben, auch witzig, ich habe es zweimal durchgelesen, trotzdem bleibt kein tiefer Eindruck.
Autor: Simone Meier

Lebendige Kunstgeschichte - 3 Sterne

"…es liegt eine meteorologische Gelassenheit über der Welt…", als die Geschichte von Jo und Theo van Gogh beginnt.
Sonst ist von Gelassenheit nicht viel zu spüren, man wird bald hineingezogen in einen Wirbel von Liebe und Tragik, von Verrücktheit und Kunst. Paris und Amsterdam um 1900, die Welt der Malerei und eine junge Frau, die unerwarteten Geschäftssinn beweist, das alles ergibt ein spannendes Bild. Mir gefällt die Sprache von Simone Meier, der feine Humor, die ausdrucksstarke Schilderung der gesamten Familie van Gogh, bis hin zu den späteren Nachkommen.
Mit hineinverwoben ist die Geschichte von Gina, die über hundert Jahre später den Spuren Jo van Goghs folgt. Diese "zeitgenössischen "Passagen wirken recht aufgesetzt, als wollte sich die Autorin in der Gestalt von Gina selbst in den Roman hineinreklamieren, schade.
Autor: Marco Ott

Eine Jugend im Ruhrgebiet - 5 Sterne

"Die Kinder sollen es einmal besser haben" – der Wunsch vieler Eltern heißt gleichzeitig, die Kinder können nicht dort bleiben, wo sie herkommen. Sie müssen mehr lernen, neue Leute und andere Verhältnisse kennenlernen, aufsteigen. Und dann?
Darüber schreibt Marco Ott in seinem ersten Roman "Was ich zurückließ" so klar und liebevoll, wie es vermutlich erst in der Rückschau möglich ist.
Aus "kleinen Verhältnissen" hat ihn sein Weg – nach mehreren Umwegen und Durchhängern – in akademische Kreise, in die sogenannte gebildete Welt geführt.
Zurückgelassen hat er die Sozialbauten, die vertraute Umgebung, die Freunde und die enge Verbindung mit den Eltern. Der Aufstieg bedeutet auch Entfremdung.
Es muss nicht immer der Migrationshintergrund sein, der einen fremd sein lässt, auch der Weg vom Land in die Stadt, aus der Sozialwohnung ins bessere Viertel zeigt Grenzen auf. Denn wer sich zur Elite zählt, hat seine eigene Sprache, seine eigenen Spielregeln, und Fremde lässt man nicht so gerne mitspielen.
Doch Marco, der Ich-Erzähler, hat sich durchgekämpft und gleichzeitig einen Weg gefunden, sein früheres Leben nicht zu verleugnen und die Entfremdung zwischen sich und seinen Eltern zu überwinden. Entstanden ist ein beeindruckendes Buch über das Erwachsenwerden, einfach und doch poetisch beschrieben.
Autor: Evelyn Steinthaler

Unterhaltung als Stütze der Politik - 4 Sterne

Ein Buch ergibt das nächste: nach ihrer gründlichen Recherche über berühmte Paare und Stars in der NS-Zeit ("Mag's im Himmel sein, mag's beim Teufel sein"), richtet Evelyn Steinthaler jetzt ihr Augenmerk auf vier Schauspielerinnen, die durch die Filmindustrie des NS-Staates Karriere gemacht haben. Am Beispiel von Marika Rökk, Zarah Leander, Kristina Söderbaum und Lida Baarová zeigt die Autorin auch in ihrem neuen Buch, wie sehr in einem totalitären Staat die Politik ins Private hineinspielt, in diesem Fall aber auch, wie scheinbar harmlose Unterhaltung dem Regime als Stütze und Festigung der Macht dienen kann. Je größer der Ruhm einer Diva, desto gefestigter auch das Ansehen des Staates, der das alles steuert – ein Kalkül, das zum Teil offenbar aufgegangen ist. Die Stars haben jedenfalls mitgespielt, den Ruhm genossen und die Nähe der Politik oft ausgeblendet.
Es geht Evelyn Steinthaler aber nicht nur um die Filme, die in seltensten Fällen (wie etwa "Jud Süß") ausgesprochene Propagandastreifen waren, sondern auch um den unkritischen Umgang mit diesen Werken und ihren Darstellerinnen in der Nachkriegszeit. Marika Rökk und Zarah Leander galten –oder gelten? – noch lange als Stars, der Ruhm von Kristina Söderbaum und Lida Baarová hat nicht so lange gehalten. Das Verhältnis der vier Diven zur Politik war nach 1945 bald kein Thema mehr, lässt sich allerdings auch erst im späteren Rückblick genauer einordnen. "Schau nicht hin" galt gleich nach dem Krieg für viele Menschen.
Evelyn Steinthaler spannt den Bogen dann noch weiter bis hin zur aktuellen Debatte über Kunst und politische Haltung, über cancel culture und zur Frage, ob man Künstler:innen und Kunstwerk trennen kann.
Die Autorin wirft viele Fragen auf, oder reißt sie auch nur an, ohne sie weiter auszuführen – vielleicht schon der Stoff für ein nächstes Buch? Ein interessantes Thema, bei etlichen Druckfehlern und anderen Ungenauigkeiten hätte ich mir an ihrer Stelle aber ein sorgfältigeres Lektorat gewünscht .
Autor: Gaea Schoeters

Hunter White geht auf die Jagd - 2 Sterne

Leider, das Jagfieber hat mich nicht mitgerissen, ich finde das ewige Anschleichen und Lauern, die Sucht nach Trophäen, ziemlich ermüdend, da kann auch die Erinnerung an Hemingway nicht helfen. Dieser Roman über Gier und Überheblichkeit, Selbstüberschätzung und die Macht des Geldes kippt schließlich, es ist nicht mehr klar, wer Jäger ist und wer Beute, wem man vertrauen kann und was das alles für einen Sinn hat. Die Sprache wird unerträglich pathetisch, als Fazit bleibt: Afrika ist kein Abenteuerspielplatz und mit Menschenleben spielt man nicht.
Autor: Anna Neata

Bruchstücke einer Familienchronik - 3 Sterne

Es sind Frauengeschichten aus drei Generationen über das Leben von Elli, Alexandra und Eva, und von der Tante Ursula. Erzählt wird allerdings nicht chronologisch, sondern ziemlich durcheinander, oft auch nur Bruchstücke oder einzelne Szenen wie Blitzlichter. Man muss schon sehr aufpassen, sonst kennt man sich dann nicht aus, wer war jetzt gleich der Hannes, und wo ist der Erich hingekommen?
Unausgesprochenes zieht sich durch alle Generationen, ungewollte Schwangerschaften, Abtreibungen und zu frühe Ehen. Anna Neata erzählt sehr direkt und unaufgeregt, sie schreibt gut und nicht perfekt glattgebürstet, aber ich kann mit dieser Familie wenig anfangen.
Autor: Elfriede Hammerl

Philosophieren mit dem Haustier - 4 Sterne

Der Hund hat natürlich nicht immer recht, das wäre ja noch schöner! Aber er bringt sein Frauerl doch ziemlich zum Nachdenken, zum Beispiel über die Frage, warum eine Hundebesitzerin Frauerl, also kleine Frau genannt wird, (und das männliche Gegenstück dann Herrl, kleiner Herr).
Und kann man einen vernünftigen Hund (oder sonst ein lebendes Wesen) überhaupt "besitzen"? Es sind recht spitzfindige, auch gesellschaftskritische und manchmal sogar philosophische Dialoge, zu denen der Hund die Autorin anregt. (Ob sie ihn "Herbert" nennen darf, ist noch nicht ganz ausdiskutiert.)
In ihrer Direktheit erinnern die Gespräche an den Dialog mit Kindern, die ebenso unbestechlich genau unsere wunden Punkte treffen können, und wie die Kinder ist auch der Hund hin und wieder bestechlich und lässt mit sich handeln.
Ein Buch voll amüsanter Miniaturen als Lektüre für zwischendurch!
Autor: Cullen, Lynn

gut recherchiert, umständlich erzählt - 3 Sterne

Es ist auch ein Stück meiner Geschichte: Polio als große Bedrohung, ein gehbehinderter Bub in der Nachbarklasse, eine Freundin mit schweren Beinschienen und Krücken, dann endlich die Kinderlähmungsschluckimpfung für alle.
Bis es soweit war, dass man das Poliovirus wirksam bekämpfen konnte, hat es Jahrzehnte gedauert. Wesentlich zum Erfolg der Forschungen beigetragen hat offenbar die Virologin Dorothy Horstmann, die man kaum kennt und deren Leistungen man im Kreis der männlichen Kollegen gerne übersehen hat.
Aus diesen Tatsachen macht die Autorin einen historischen Roman, der spannend sein könnte, aber leider recht umständlich und betulich erzählt wird, sich in Nebensächlichkeiten verliert und streckenweise langweilig wird.
Autor: Philipp Oehmke

Zeitgeist - 3 Sterne

Da hat einer wirklich alles zusammengetragen, was derzeit aktuell ist an Themen in unserer Gesellschaft: social-media-Diskussionen, queere Debatten, die NS-Vergangenheit in deutschen Familien, die verkehrte Welt des Donald Trump, unausgesprochene Konflikte in Beziehungen, Machtspiele und sexuelle Übergriffe, Abenteuer in Pakistan, viel zu reiche Eltern, gescheiterte Karriereträume… und das alles in einer einzigen Familie.
Es handelt sich um eine gut situierte Familie mit intellektuellen Ansprüchen, eine gewisse Allgemeinbildung wird auch von der Leserin, vom Leser erwartet, Poststrukturalismus, Houellebecq, oder "der Breuerstuhl" werden locker eingestreut, selbstverständlich gibt’s auch Cappuccino und etwas Champagner, eine Familie mit Stil eben.
Es ist ein breit angelegtes Sittenbild aus verschiedenen Perspektiven der unterschiedlichen Generationen, die in den USA, in Köln, Berlin und der Uckermark zuhause sind, man lernt also auch etwas von der Welt kennen. Insgesamt liest sich das Buch recht flott und unterhaltsam, reicht mit 540 Seiten auch als Lektüre für einen längeren Urlaub, aber im Rückblick bleibt mir zu wenig Substanz – bis auf ein paar Scampi vom verhinderten Grillfest.
Autor: Kubsova, Jarka

Unerhörte Frauen - 4 Sterne

Es beginnt mit einem Scheiterhaufen, dann erlebt man eine Bäuerin, die vor drohendem Unwetter warnt, das alle anderen nicht wahrhaben wollen – diese Geschichte kann nicht gut ausgehen.
Mit dem Schicksal der Abelke Belken, die es tatsächlich gegeben hat und die im 16. Jahrhundert als Hexe verbrannnt wurde, wird das Leben von Britta verknüpft, die heute in derselben Gegend wohnt, neu zugezogen mit ihrer Familie, weil ihr Mann sich ein Leben in diesen Marschlanden bei Hamburg schön vorstellt.
Wie es weitergeht, ist einerseits recht spannend geschildert, andererseits doch ziemlich vorhersehbar. Abelke als unabhängige Bäuerin kann ihren Hof nicht halten, wird betrogen und schließlich als Hexe verbrannt. Brittas Ehe scheitert, aber sie findet Anschluss an andere Frauen in ihrer neuen Heimat.
Beide Themen sind nicht neu, welche tieferen Überlegungen die Autorin eigentlich mit dem Roman verbindet, wird erst aus dem Nachwort klar.