Rezensionen

Maxie Bantleon

Maxie ist Buchhändlerin in unserer Tyrolia-Filiale in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck. Ihre Spezialität sind Kochbücher - aber in ihrer Freizeit verschlingt sie alle möglichen Bücher, von Romanen bis zu den spannendsten Thrillern.
Autor: Jane Crilly

Der Gärtner von Wimbledon - 5 Sterne

Der junge Henry fühlt sich auf dem weitläufigen, hochherrschaftlichen Anwesen Blake Hall wie zuhause und fast schon zugehörig zur Familie und der besseren Gesellschaft. Aber eben nur fast, denn er ist doch nur der Sohn des Gärtners. Seine Freundschaft zu Rose, der Tochter des Hauses, ist sehr innig, und später wird daraus eine tiefe Liebe. Natürlich ist es eine Liebe, die nicht sein darf und die keine Zukunft hat – zu groß ist der Standesunterschied.
Je weiter man liest, desto mehr beschleicht einen auch der Verdacht, dass Henry mehr und von ganzem Herzen liebt, während Rose eine junge Frau ist, die vor allem nach Eigenständigkeit strebt. Ihr größter Traum ist es, Profi-Tennisspielerin zu werden und eines Tages in Wimbledon zu gewinnen.
Doch auch dafür ist die Zeit im England der 1940er Jahre noch nicht reif…
„Der Gärtner von Wimbledon“ ist eine bittersüße Liebesgeschichte, die ganz wunderbar die Stimmung der damaligen Zeit widerspiegelt und mit ihrem traurigen, aber sehr gelungenen Ende zu Herzen geht.
Wir haben das schmale Buch im Urlaub zu viert untereinander weitergegeben und waren alle sehr angetan von der Geschichte!
Autor: Wahl, Caroline

22 Bahnen - 5 Sterne

Wenn Tilda nachts auf ihrer Matratze liegt und der Wind durch die weit geöffneten Fenster auf sie fällt, dann scheint kurz alles gut zu sein. Dann denkt sie, dass sie das Ganze noch lange aushalten kann. „Solange der Wind nachts auf mich fällt, denke ich, kann ich mich tagsüber in den Krieg da draußen stürzen. Gegen meine Mutter, gegen ihre Launen, gegen diese Kleinstadt. Und für Ida.“

Seit Tilda denken kann, kümmert sie sich um ihre jüngere Schwester und ist für die zehnjährige Ida mehr Mutter als ihre richtige Mutter.
Die Mutter trinkt – mal mehr, mal weniger, aber immer zu viel.
Manchmal gibt es bessere Phasen und dann brät Tildas Mutter Spiegeleier, um die Scheiße, die sie gebaut hat, wieder gut zu machen, und deswegen hassen Tilda und Ida Spiegeleier, aber das ist sozusagen ihr Familienritual. Die Reuephase dauert niemals lang, meistens ist die Mutter ein Monster, das die Töchter anschreit (und schlimmeres), und wenn sie dieses Funkeln in den Augen hat, wissen sie, dass sie zerstören will. Die Narbe unter Tildas Auge stammt von der Cornflakesschüssel, die die Mutter mal nach ihr geworfen hat, und die kleine Ida hat irgendwann beschlossen, nicht mehr zu weinen.

Für Tildas beste Freundin Marlene war schon Tildas Entscheidung fürs Mathestudium ein gewisses Nein zum Leben, aber ihre Versuche, Tildas soziales Leben wieder in Schwung zu bringen, scheitern, denn Tilda will Ida abends nicht mehr mit der Mutter allein lassen. Außerdem ist sie abends einfach platt nach den Stunden in der Universität und der langen Straßenbahnfahrt hin und zurück sowie der vielen Arbeit als Kassiererin im Supermarkt – da hat sie wenig Lust, sich Marlenes Geschichten vom tollen Großstadtleben in Berlin anzuhören, irgendwie ist man sich in letzter Zeit doch fremd geworden.

Ein bisschen Zeit für sich findet Tilda nur beim Schwimmen im Freibad, wo sie beinahe täglich ihre 22 Bahnen schwimmt.
Und dann taucht Viktor – groß, schön und sagenumwoben – wieder in der Stadt auf und zieht ebenfalls Tag für Tag seine 22 Bahnen. Viktor erinnert Tilda an den Sommer vor ein paar Jahren, an dessen Anfang sein jüngerer Bruder Ivan, Tilda und Marlene Freunde wurden und auf dessen Höhepunkt Ivan starb.
Ab sofort schwimmt Tilda eine Bahn mehr und versucht, Viktor aus ihrem Kopf zu kriegen, denn der ist sowieso schon viel zu voll, aber gleichzeitig beruhigt es sie, ihm bei seinen 22 Bahnen zuzuschauen. Viktor ist wie ein Rätsel für Tilda, das sie lösen will, wie eine Matheaufgabe, die sie nicht versteht, und sie hasst es, wenn sie eine Matheaufgabe nicht sofort versteht…

„22 Bahnen“ ist das perfekte Buch für den Sommer – Sie brauchen es nicht mal im Schwimmbad zu lesen, denn Sie werden den Geruch nach Chlor und Sonnencreme, egal wo Sie sind, in der Nase haben.

Das einzig negative, was mir zu Caroline Wahls Debütroman einfällt, ist die Tatsache, dass er so KURZ ist.
Ich hätte immer und immer weiterlesen wollen, wie es mit Tilda, ihrer kleinen Schwester Ida, ihrer Mutter und Viktor weitergeht, so wunderbar berührend, traurig und gleichzeitig tröstlich ist ihre Geschichte.

Und zu meiner größten Freude erscheint bereits im Mai mit "Windstärke 17" der neue Roman von Caroline Wahl!
Autor: Jane Gardam

Gute Ratschläge - 5 Sterne

Ich jubele: Endlich ein neuer Roman von Jane Gardam. Und was für einer!
Im Leben von Eliza Peabody geht es ganz schön rund. Zuerst wurde ihre Nachbarin Joan im Armyshop gesehen, wo sie einen Schlafsack und ein Einmannzelt gekauft hat und, und jetzt fährt sie anscheinend im Volvo der Familie Richtung Himalaya. „Eine Frau, die ein so wundervolles Heim verlässt, zwei so lebhafte Kinder, Charles‘ ganzes Geld und den lieben genügsamen Charles selbst, muss krank sein.“
Da sich Eliza für Joans Verschwinden ein Stück weit verantwortlich fühlt – schließlich hat sie ihr vorgeworfen, eine Hypochonderin zu sein, die sich einfach mal zusammenreißen solle – fühlt sie sich nun bemüßigt, Joan einen Brief um den anderen zu schreiben, in denen sie unter anderem die titelgebenden „guten Ratschläge“ verteilt. Hierbei nimmt Eliza kein Blatt vor den Mund, denn in ihrem Zirkel heißt es immer, sie sei „unverblümter als ein Steingarten.“
All die Briefe bleiben unbeantwortet, aber Eliza schreibt weiter und weiter, „aus reiner Gewohnheit“, und mit der Zeit werden die Briefe, obwohl immer noch an die „liebe Joan“ adressiert, mehr und mehr zu einer Art Selbstreflektion auf das eigene Leben.
Eliza war jahrelang eine hochrangige Diplomatengattin, und ihr Zuhause war in Ländern wie Syrien, Iran, Ägypten, Bangladesch – das waren auf- und anregende Zeiten.

Doch seit sie wieder in der Rathbone Road lebt, ist sie wie all die anderen gutsituierten Gattinnen dort: „Reich, beige und fad wie kandierte Maronen.“
Und je mehr wir über Elizas Leben und ihre dreißigjährige Ehe mit Henry erfahren – die darin gipfelt, dass Henry ihr beim Weihnachtsessen eröffnet, dass er ausziehen wird, um künftig mit Charles zusammenzuleben – desto mehr wird klar, dass wir es nur oberflächlich betrachtet mit einer selbstgerechten und geschwätzigen Frau zu tun haben.
Tatsächlich ist Eliza alles andere als beige und fad; sie ist eine Meisterin der Seitenhiebe und schreibt sehr pointiert. Ein Satz wie „Diplomatenfrauen durften damals keinen eigenen Beruf haben. Damals war es eine Vollzeitbestrafung, man musste repräsentieren“ entlarvt die britische Upper Class doch wirklich vortrefflich!
Eliza ist aber auch eine zutiefst einsame Person, die ein schweres Trauma aus den Anfängen ihrer Ehe nie verarbeiten konnte. Hat Henry sie wirklich verlassen, weil Eliza unmöglich geworden war? Weil er dachte, dass sie verrückt würde? Oder ist es der Riss in ihrer Seele, der die Kluft zwischen ihnen immer weiter vertieft hat?

Lesen Sie dieses großartige Buch – schon allein der Brief vom 12. April, in dem Eliza ihre Unterhaltung mit Mr und Mrs Deecie – „Deecie wie Washington“ – wiedergibt, ist es wert, dass dieses Buch gekauft wird!
In Richtung des Hanser Verlags möchte ich meine Bitte, fast ist es ein Appell, wiederholen: Wenn es noch mehr nicht übersetzte literarische Schätze von Jane Gardam zu bergen gilt – bitte, bitte, bitte tut es!
Autor: Julius Roberts

Vom Kochen & Leben auf dem Land - 5 Sterne

Wenn zur Zeit nach dem Buch „von dem Autor, der so ähnlich wie Julia Roberts heißt“ gefragt wird, ist ganz klar, was gesucht wird: „Vom Kochen & Leben auf dem Land“ von Julius Roberts. Der junge Brite ist mit der US-Schauspielerin aber weder verwandt noch verschwägert.
Julius Roberts ist ein sogenannter „first-generation-farmer“, der in seinem ersten Buch jede Menge Rezepte mit wunderbaren Essays über sein Leben auf dem Land, im Südwesten Englands (Dorset) nahe der Küste, vereint.
Wenn man das liest, ist man eigentlich sofort versucht, seine Siebensachen zu packen, um ihm einen Besuch abzustatten. Dass das Buch so wunderbar bebildert ist – natürlich mit appetitanregenden Fotos der ganzen Gerichte, aber vor allem mit herrlichen und heimeligen Bildern vom Cottage (innen und außen) und der schönen Landschaft – trägt dazu natürlich seinen Teil bei!
Für mich waren aber die Worte von Nigel Slater, bekanntermaßen einer meiner Lieblingsköche, ausschlaggebend, „Vom Kochen & Leben auf dem Land“ zu einem meiner Lieblings-Kochbücher zu küren.
Slater sagt: „Ein herzerwärmendes Buch. Die Rezepte sind absolut großartig.“ Und einer seiner Empfehlungen vertraue ich zu 100%.
Also: Kaufen! Kochen! Freuen!
Autor: Ali Güngörmüs

Mediterran Express - 5 Sterne

Noch vor kurzem war es so, dass ich auf die Frage: „Wo haben Sie denn die Kochbücher mit mediterraner Küche?“ keine richtig gute Antwort parat hatte. Denn die Auswahl war einfach nicht gut, und das, wo doch diese Küche zu den gesündesten der Welt gehört.
Zum Glück sieht es in dieser Kochbuch-Saison anders aus; die Verlage hauen einer nach dem anderen ein hübsches Kochbuch zu diesem Thema raus.
Allen voran sei hier „Mediterran Express“ von Ali Güngörmüs erwähnt.
Der quirlige Münchner Sternekoch mit türkischen Wurzeln versammelt hier über achtzig Rezepte, die mit maximal sieben Zutaten in kürzester Zeit zubereitet werden können. Sein Motto: „Gutes Kochen kann so einfach sein“, denn nichts findet er selbst schlimmer als Rezepte mit endlosen Zutatenlisten.
Im Buch findet sich alles, was es braucht, um ein schnelles (sommerliches) Menü zusammenzustellen: Vorspeisen wie geschichtetes Tabouleh, hier zum Glück mit Bulgur zubereitet statt mit Couscous, oder ein phantastischer Zucchinisalat mit cremigem Zitronen-Cumin-Joghurt.
Wer mich und meine Kochbuch-Tipps kennt, wird es ahnen: Mein Lieblingskapitel dreht sich natürlich um Suppen, was sonst! Hier empfehle ich vor allem, die Kohlrabisuppe nachzukochen.
Und vielleicht schafft Ali Güngörmüs es sogar, dass ich meine Abneigung gegen Auberginen überwinde? Genügend Rezepte, die eigentlich alle ganz gut klingen, wären jedenfalls vorhanden.
Wer auf der Suche nach einem Kochbuch für schnelle und leichte Küche ist, ist mit „Mediterran Express“ wirklich gut beraten!
Autor: Gilly Macmillan

Ein langes Wochenende - 5 Sterne

Der Titel ist Programm. Ein (normal) langes Wochenende reicht aus, um diesen Roman zu lesen, der sich nicht so recht entscheiden kann, was genau er ist: Eine haarsträubende Räuberpistole oder ein hochspannender Thriller.
Seit vielen Jahren schon gibt es das alljährlich stattfindende, gemeinsame Wochenende. Dieses Mal geht es in den äußersten Norden von England, in eine zum Ferienhaus umgebaute Scheune in der absoluten Einöde. Mit von der Partie sind wie immer Jayne und Mark, Ruth und Toby sowie Paul mit seiner neuen, um viele Jahre jüngeren Frau Emily. Zum ersten Mal nicht mit dabei: Rob und Edie. Rob ist vor einiger Zeit unter mysteriösen Umständen ertrunken, und vor allem die drei Frauen sind insgeheim ganz froh, dass die trauernde Witwe Edie alleine nicht mitkommen wollte. Eigentlich ist Edie allen dreien ein Dorn im Auge; zu offensichtlich ist, dass sie, die alle drei Ehemänner schon seit ihrer Jugend kennt, stets der Mittelpunkt und von allen Männern umschwärmt war. Seit Robs Tod ist die Fürsorge von Mark, Toby und Paul der hilflosen Edie gegenüber kaum noch zu ertragen.
Doch kaum sind die drei Frauen als erste im Ferienhaus angekommen -- die Männer sollen tags darauf folgen -- , erhalten sie einen Brief, der Edie plötzlich gar nicht mehr hilflos, sondern im Gegenteil höchst gefährlich und unberechenbar wirken lässt.
Die Autorin spielt gekonnt mit den Ängsten und Unsicherheiten ihrer Hauptfiguren (zugegeben: vor allem der weiblichen) und führt ihre Leser*innen raffiniert an der Nase herum. Dabei trägt sie für meinen Geschmack mitunter etwas zu dick auf und bürdet Jayne, Ruth & Co vielleicht einen Tick zu viele Probleme auf, u.a. starke Alkoholabhängigkeit, posttraumatische Belastungsstörung, der Verdacht auf sexuelle Belästigung, Schuld am Suizid einer Studentin und so weiter und so fort. Auch der Nebenstrang, nämlich die Geschichte rund um John und Maggie, die Besitzer der Scheune, ist eher verwirrend und eigentlich komplett unnötig.
Das Pendel schlägt aber zu guter Letzt doch in Richtung „superspannender Thriller“ aus, und das liegt an den Kapiteln, die aus der Ich-Perspektive erzählt werden und einen fast bis zum Schluss mitfiebern lassen, wer nun der wahre Psychopath ist.
Autor: David Nicholls

Zwei an einem Tag - 5 Sterne

Nachdem ich nun die hochgelobte und wirklich schöne und sehenswerte Netflix-Serie „One Day“ gesehen habe, war es an der Zeit, auch den Roman, der dafür die Vorlage war, erneut zu lesen. Das erste Mal lag weit mehr als zehn Jahre zurück, und von daher hatte ich wirklich kaum eine Erinnerung, was im Buch anders als in der Verfilmung ist.
„Zwei an einem Tag“ ist die Geschichte von Dexter und Emma, die sich genau zum falschen Zeitpunkt kennenlernen; nämlich bei der Abschlussfeier nach bestandenem Studium, also genau dann, wo sich ihre Wege gleich wieder trennen und sich alle in alle Himmelsrichtungen verstreuen.
Es ist (zunächst) keine richtige Liebesgeschichte, sondern eine Freundschaftsgeschichte und eigentlich irgendwie halt doch… eine Liebesgeschichte!
Die Leserin begleitet die beiden über zwanzig Jahre, und es ist immer der 15. Juli eines jeden Jahres, an dem erfährt, wo die beiden in ihrem Leben gerade stehen, denn der 15. Juli 1988 war der Tag, an dem die Geschichte von Dexter und Emma begonnen hat.
Es ist eine Geschichte vom Erwachsenwerden; davon, seinen Platz im Leben zu finden, vom Glück und vom Scheitern.
Es ist keine stürmische Romanze, sondern die Geschichte zweier Menschen, die jahrelang nicht erkennen, dass sie zusammengehören, bzw. erkennen sie es jahrelang nicht zur selben Zeit!
Hier fühlt man sich – jedenfalls als etwas ältere Leserin – vielleicht an eine ähnliche Geschichte erinnert aus den späten 1980er Jahren, nämlich an „Harry & Sally“, aber „Zwei an einem Tag“ ist viel besser (und ohne die nervige Meg Ryan).
Wer also bisher nur „One Day“ gesehen hat, dem sei auch das Buch ans Herz gelegt – gerade AUCH, denn ganz ehrlich:
Wie blöde ist doch eigentlich der Satz „Das Buch zur Netflix-Serie“, der irgendwie suggeriert, dass es die Serie zuerst gegeben hätte.
Es lohnt sich wirklich, Emmas und Dexters Geschichte (auch) zu LESEN, denn so richtig komplex und schön kann doch nur das geschriebene Original sein.
Autor: Jörg Hartmann

Der Lärm des Lebens - 5 Sterne

Ich weiß nicht, inwieweit der Schauspieler Jörg Hartmann dem österreichischen Fernsehzuschauer ein Begriff ist. Ich bin keine regelmäßige Tatort-Zuseherin, aber der von Hartmann verkörperte mürrische und wortkarge Kommissar Faber ist der Ermittler, auf dessen (leider seltene!) Fälle ich mich immer am meisten freue.

Jetzt zeigt Jörg Hartmann, dass er literarisch durchaus wortgewandt ist! Das kürzlich erschiene Buch „Der Lärm des Lebens“ ist keine Autobiographie, aber auch kein fiktiver Roman. Hartmann erzählt aus seinem Leben und geht dabei nicht chronologisch vor. Es sind Erinnerungen an seine Zeit als junger, ungestümer Schauspielschüler, der drauflosprescht, die Welt zu erobern.
Hartmann erzählt von seinen beruflichen Anfängen in Stuttgart und Berlin und von seiner Herkunft und seiner liebevollen Familie. Hier sind es vor allem die Geschichten und Erinnerungen, die von seinem Vater handeln, den er in seinen letzten Monaten begleitet. Jeden, der schon ein Elternteil verloren hat, werden diese Seiten ganz besonders berühren und vielleicht sogar zu Tränen rühren.
„Der Lärm des Lebens“ ist aber auch ein Buch zum Lachen – ich zum Beispiel war hin und weg, wie Jörg Hartmann seine Unterhaltungen mit seinen Eltern und Patenonkel Günther nebst Gattin Inge wiedergibt, und hätte ihnen stundenlang „zuhören“ mögen.
Er erzählt von dem oft rastlosen Leben, das er führt, berufsbedingt führen muss, und das er auf der einen Seite so liebt. Und dann wieder hasst er es, unterwegs zu sein, hasst diesen narzisstischen Beruf, der ihm so oft einen Rhythmus aufzwingt, der nicht zu seinem Leben mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern passt.

Es lohnt sich, den Schriftsteller Jörg Hartmann zu entdecken, denn wie schreibt er so schön: „Schon immer sind es Geschichten gewesen, die man sich erzählt, an denen man sich aufrichtet, die man zum Überleben braucht, die einem Halt geben… Wenn wir uns nicht füttern mit Kunst und Geist, dann gehen wir ein, werden Opfer der digitalen Pest…“
Von mir fünf Sterne für dieses kluge und schöne Leseerlebnis!
Autor: Dolly Alderton

Am Ende ist es ein Anfang - 5 Sterne

Eigentlich hatte ich schon ein anderes Buch parat, aber dann habe ich die ersten zwei, drei Seiten von „Am Ende ist es ein Anfang“ angelesen – und damit hatte Dolly Alderton mich am Wickel!
Bereits die ersten Punkte auf Andys Liste „Gründe, warum es gut ist, dass ich nicht mehr mit Jen zusammen bin“ sind so wunderbar skurril, dass ich sofort weiterlesen wollte.

Andy ist ein mittelalter und mittelmäßiger bis schlechter Standup Comedian, dessen Beziehung zu Jen nach vier Jahren ein ziemlich abruptes Ende nimmt, zumindest für ihn.
Diese Trennung wirft ihn, der seit seinen späten Teenagerjahren NIE ohne eine Beziehung war, völlig aus der Bahn. „Es fühlt sich an wie Weihnachten… Als würde meine Welt für eine Weile stehen bleiben.“
Wir begleiten Andy über ein halbes Jahr, das er mehr oder weniger „im Wahnsinn“ erlebt; wir erleben seine Trauer und seine Versuche, Jen zurückzugewinnen und sie zu vergessen und sie wieder zurückzugewinnen. Es ist eine Zeit mit viel zu viel Alkohol und exzessivem Ausgehen, nur um nicht alleine sein zu müssen.
Wie positioniert er sich neu in seiner Freundesclique, in der alle anderen eine feste Partnerschaft haben, zum Teil sogar verheiratet und schon Vater sind?
Es ist grotesk und gleichzeitig berührend zu lesen, wie Andy fast schon zwanghaft Jens Aktivitäten in den sozialen Medien verfolgt oder wie besessen er davon ist, von seinem besten Freund Avi, der wiederum der Mann von Jens bester Freundin ist, jedes Detail aus Jens neuem Leben zu erfahren.
Und was soll er mit all diesen Dingen und Erinnerungen machen, die ein Teil der Kultur in ihrer Beziehung waren – z.B. Tee aus sehr großen Bechern zu trinken, sich auf den Vorverkaufstag für das Glastonbury Festival zu freuen oder Trüffelchips.
„Wenn ich ein neues Liebessubgenre mit jemand anderem beginne, darf ich all das, was ich am letzten so sehr liebte, mit einbringen?“
Andy versinkt „in den Erinnerungen und dem ungelebten Potenzial dieser Beziehung“, und wie Avi so treffend formuliert: „Deine Nostalgie ist dein Gefängnis.“

Das klingt jetzt vielleicht alles ein bisschen deprimierend, aber ganz ehrlich: Das haben wir doch alle so oder zumindest so ähnlich auch schon erlebt.
Ich konnte mit Andy lachen – vielleicht nicht gerade über seine Standup Comedy, denn die ist wirklich mies – und mitfühlen; manches Mal dachte ich mir: „Er ist wirklich ein echter Blödmann!“ und dann ist er wieder so herzzerreißend wunderbar, dass es mir unbegreiflich war, wieso Jen ihn in den Wind geschossen hat.
„Am Ende ist es ein Anfang“ ist ein ganz wundervolles und unterhaltsames Buch über das Erwachsenwerden und die Chance, dass sich eben tatsächlich aus jedem Ende auch wieder etwas Neues ergeben kann. Auch wenn es schwer ist.
Am schönsten ist das Ende des Romans, wo wir auf einigen wenigen Seiten Jens Sicht auf Andy, ihre Beziehung und die Trennung erfahren. Hier ergeben sich dann einige Querverbindungen, die ganz besonders schön und berührend sind. Es waren aber definitiv zu wenige Seiten; von mir aus hätte Dolly Alderton gleichzeitig mit diesem Buch noch ein zweites veröffentlichen können, in dem wir die GANZE Geschichte noch einmal komplett aus Jens Sicht lesen können.

„Am Ende ist es ein Anfang“ ist ein Buch, das auch für Männer geeignet ist, trotz seines Covers, das wohl eher Leserinnen ansprechen soll – ganz nebenbei: Ich finde es furchtbar und es steht für mich in keinem Zusammenhang mit der Geschichte, und die Frau ist mit Sicherheit nicht Jen, aber wer ist sie dann?!
Wir können bei der Lektüre ALLE noch etwas lernen, von der phantastischen Unterhaltung mal ganz abgesehen.
Autor: Nikki Erlick

Die Vorhersage - 4 Sterne

Was wäre, wenn jeder Mensch den exakten Zeitpunkt seines Todes kennen würde?
Nikki Erlick baut die Handlung ihres Debütromans auf genau dieser Frage auf.
An einem Frühlingsmorgen sind sie plötzlich da: schlichte, kleine Holzkästchen, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Sie finden sich in jeder noch so abgelegenen Gegend, und in den Deckel jedes Kästchens ist eine einfache und zugleich rätselhafte Botschaft in der jeweiligen Muttersprache des Empfängers eingraviert. „Das Innere birgt das Maß deines Lebens.“
In jeder Box befindet sich ein einzelner Faden, hübsch verpackt in einem dünnen, silberweißen Stoff, so dass auch diejenigen, die den Deckel geöffnet haben, noch eine Art Bedenkzeit erhalten.
Zunächst können nur Vermutungen angestellt werden, was die Echtheit der Fäden angeht und vor allem, was die jeweilige Länge für den einzelnen Mensch tatsächlich bedeutet. Nach der ersten Welle, in der alle Erwachsenen ab dem Alter von zweiundzwanzig Jahren ihr Exemplar bekommen haben, bringt jeder neue Sonnenaufgang eine Box und einen Faden für genau die Menschen, die an diesem Tag ihren zweiundzwanzigsten Geburtstag feiern. Relativ schnell werden mit Hilfe von zigtausend ausgewerteten Fäden immer genauere Berechnungen zur jeweiligen noch verbleibenden Lebensdauer möglich; und bald lässt sich der Todeszeitpunkt eines jeden Menschen auf die Stunde genau vorhersagen.
Die sogenannten Kurzfaden müssen schon bald feststellen, dass sie in vielen Bereichen des Lebens benachteiligt bzw. diskriminiert werden; so stellen zum Beispiel viele Firmen Menschen mit kurzer Lebenserwartung gar nicht mehr ein, teilweise werden sie in Krankenhäusern nicht mehr behandelt. „Dürfen“ sie überhaupt noch eine Beziehung mit einem „Langfaden“ eingehen? Eine Familie gründen?
Auf den ersten Blick scheint es für diejenigen, die wissen, dass ihnen ein langes Leben beschert wird, leicht(er) zu sein, aber ihnen stellt sich z.B. die umgekehrte Frage: Möchte ich eine Beziehung mit einem „Kurzfaden“ eingehen bzw. kann und will ich an einer bestehenden Beziehung zu einem Menschen, dessen Ende absehbar ist, festhalten.

Was richten die Fäden in der Gesellschaft in Hinblick auf Solidarität und Moral an?
Ist ein Faden -- egal welcher Länge -- eine Art Freibrief, nur noch das zu tun, was man möchte?
Kann das Wissen um das genaue Ende des eigenen Lebens eine Chance sein, weil sich die Möglichkeit des Abschiednehmens bietet? Weil man vielleicht keine letzten gesagten oder ungesagten Worte bereuen muss?

Niki Erlick verpackt all diese Fragen in eine episodenhafte Geschichte rund um acht Frauen und Männer und lässt dann -- das Wortspiel muss erlaubt sein, auch wenn es eigentlich doof ist -- alle Fäden zusammenlaufen in einem Ende, das mir persönlich etwas zu kitschig war.
Da die Herkunft der Fäden nicht aufgelöst wird, hätte es in meinen Augen diesen weichgespülten Schluss nicht gebraucht.
Ein spannendes Gedankenexperiment ist "Die Vorhersage" aber auf jeden Fall.